Ein in Seehunden entdeckter neuer Grippe-Erreger könnte auch dem Menschen gefährlich werden. Denn er ist bereits an Säugetiere angepasst und besitzt Mutationen, die ihn leicht übertragbar machen. Das haben US-amerikanische Forscher festgestellt, als sie fünf Tiere untersuchten, die 2011 bei einem rätselhaften Seehundsterben in Neuengland gestorben waren. In den Geweben der Seehunde habe man Influenza-Viren des Stamms H3N8 entdeckt. Dabei handele es sich um einen Virenstamm mit einer völlig neuen Kombination von Merkmalen, berichten die Forscher im Fachmagazin „mBio“. Das neu entdeckte Virus stamme zwar von einem Vogelgrippevirus ab, habe aber zahlreiche neue Anpassungen. Eine davon befähige den Virus dazu, ein Protein in den Zellen der menschlichen Atemwege anzugreifen.
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„Das Auftreten von neuen Influenza-Stämmen ist immer ein Grund zur Sorge“, schreiben Simon Anthony von der Columbia University in New York und seine Kollegen. Das gelte vor allem dann, wenn ein solches Virus neu auf ein Säugetier übergesprungen sei. Der jetzt in Seehunden entdeckte Influenza-Stamm H3N8 habe sich aus einem Vogelgrippe-Virus entwickelt, der seit 2002 unter Vögeln in Nordamerika grassiere. Er sei aber so verändert, dass er sowohl Zellen von Vögeln als auch von Säugetieren angreifen könne, sagen die Forscher.
Mutationen wie bei menschlichen Grippe-Viren
Die genetische Analyse des neuen Influenza-Virus ergab, dass H3N8 bereits drei Mutationen besitzt, die auch bei menschlichen Grippeviren des Typs H3N1 vorkommen. Außerdem habe der in den Seehunden gefundene Erreger eine Genveränderung, durch die er besonders leicht zwischen Säugetieren verschiedener Arten wechseln könne, berichten die Wissenschaftler. In Tierversuchen habe man bereits festgestellt, dass diese als D701N bezeichnete Mutation die Übertragung von Seehunden auf Mäuse erleichtere. Diese Genvariante finde sich zudem in Grippeviren von Hunden und Pferden.
Die von H3N8 befallenen Seehunde hatten deutliche Anzeichen für eine Lungenentzündung und krankhafte Veränderungen an den Schleimhäuten der Atemwege, wie die Forscher berichten. Besonders viele Viren habe man in den Lungengeweben und Bronchien der Tiere gefunden. Dort habe das Virus vor allem ein bestimmtes Protein in den Zellwänden der Atemwege genutzt, um die Schleimhautzellen anzugreifen. Dieser Rezeptor, SA Alpha 2,6 komme nicht nur bei den Seehunden, sondern auch beim Menschen vor.
„Damit zeigt der H3N8-Virus ein ähnliches Bindungsmuster wie die bereits an den Menschen angepassten H3-Influenza-Stämme“, schreiben Anthony und seine Kollegen. Dieser Anpassungsschritt gelte als wichtige Triebkraft für Grippe-Pandemien. Die Existenz dieses neuen Influenza-Stamms sei daher potenziell besorgniserregend und müsse zukünftig genau überwacht werden.
Für ihre Studie hatten die Forscher fünf Seehunde untersucht, die im September und Oktober 2011 an der Küste von Neuengland gestorben waren. Insgesamt waren damals 162 Tiere verendet, die meisten von ihnen Jungtiere, die weniger als ein halbes Jahr alt waren. Um die Ursache dieses Massensterbens zu klären, suchten die Mediziner in den Geweben der Seehunde nach genetischen Spuren eines Erregers und wurden fündig. Mittels weiterer Analysen gelang es ihnen, das genetische Profil des neu entdeckten Influenza-Stamms zu erstellen. (doi:10.1128/mBio.00166-12)
(mBio, 01.08.2012 – NPO)