Der Saturnmond Iapetus erweist sich erneut als äußerst ungewöhnlicher Himmelskörper: Auf seiner eisigen Oberfläche haben Forscher mehr als 30 teilweise extrem lange Rutschungen entdeckt. Bis zu 80 Kilometer weit erstrecken sich die gewaltigen Eislawinen. Sie seien die größten und zahlreichsten, die man je auf einem eisbedeckten Himmelskörper gefunden habe. Ihre Länge sei angesichts der nur geringen Größe des Mondes erstaunlich. Zudem sorge die extreme Schnelligkeit der Lawinen dafür, dass sie viel weiter fließen als normalerweise üblich, berichten die Wissenschaftler im Fachmagazin „Nature Geoscience“. Iapetus ist mit 1.470 Kilometer Durchmesser nur rund ein Drittel so groß wie unser Erdmond.
Ein Grund für die große Zahl der Eislawinen sei die stark zerklüftete Oberfläche des Mondes: „Iapetus hat in Relation zu seiner geringen Größe die Landschaft mit den extremsten Höhenunterschieden im gesamten Sonnensystem“, erklären die Forscher. Die Spanne reiche von zehn Kilometer tiefen Kratern bis zu 20 Kilometer hohen Bergen.
Von den 30 eindeutig identifizierten Rutschungen seien 17 von Kraterrändern aus in die Tiefe gestürzt, berichten Kelsi Singer von der Washington University in St. Louis und ihre Kollegen. Die restlichen 13 habe man an den Hängen des äquatorialen Gebirgsrückens entdeckt. Dieser im Sonnensystem einmalige Rücken umgibt Iapetus entlang des Äquators wie ein Gürtel, er erstreckt sich über drei Viertel des Mondumfangs. Für weitere 18 Rutschungen gebe es Indizien, die aber noch bestätigt werden müssten.
Entdeckt haben die Astronomen die Rutschungen auf Iapetus mit Hilfe von Aufnahmen der US-Sonde Cassini. Sie ist seit 2004 im Saturnsystem unterwegs und hat zahlreiche hochauflösende Bilder des zum großen Teil aus Wassereis bestehenden Mondes geliefert.
Rätsel der geringen Reibung
Die meisten Erd- oder Eisrutsche bewegen sich maximal doppelt so weit, wie die Höhe, von der sie abstürzten. Auf Iapetus aber seien die Rutschungen 20 bis 30 Mal länger als der Höhenunterschied. „Das deutet auf eine extrem geringe Reibung dieser Rutschungen mit dem Untergrund hin“, sagen Singer und ihre Kollegen. So geringe Werte erhält man normalerweise nur, wenn eine Eis- oder Geröllmasse auf einem dünnen Wasserfilm oder Wasserdampfkissen zu Tal gleitet. Aber auf der Oberfläche des Saturnmonds herrschen Temperaturen von minus 140 bis 170 Grad Celsius. Eine Gleitschicht aus flüssigem Wasser oder Dampf seien bei dieser Kälte eher unwahrscheinlich. „So kaltes Eis ist ungefähr so rau wie ein Sandstrand“, sagt Koautor William McKinnon.
Die Forscher vermuten, dass eine spezielle Form der Reibung die Unterseite der Eisrutschungen erwärmt und dadurch glitschiger gemacht hat. Diese Reibung beobachte man auch auf der Erde, wenn sich beispielsweise bei einem Erdbeben die Ränder einer Verwerfung schnell gegeneinander verschieben. Die kurzzeitig an winzigen Vorsprüngen entstehende Hitze reiche dabei sogar aus, um das Gestein zu schmelzen, sagen die Forscher. Und genau dieser Prozess sorge vermutlich auch auf den Saturnmond für die besonders langen Rutschungen. Das schnell von den Hängen abgleitende Eis und Geröll erwärme die Eisunterlage kurzzeitig auf mehr als minus 30 Grad und mache den Untergrund dadurch rutschiger. (doi:10.1038/ngeo1526)
(Nature Geoscience, 30.07.2012 – NPO)