Forscher haben einen Mikroprozessor entwickelt, der keine elektronischen Daten, sondern chemische Information in Form von Konzentrationen verarbeitet. Dieser neuartige Lab-on-a-Chip-Mikroprozessor kann dadurch ohne Computersteuerung Analysen durchführen, beispielswiese in der Medizin oder Materialprüfung. Die Forscher sehen in ihrem Prototyp nur den Anfang einer ganzen Entwicklungsära solcher chemischer Chips.
Das Schaltkreis-Konzept der Wissenschaftler um Andreas Richter vom Institut für Halbleiter- und Mikrosystemtechnik der TU Dresden ähnelt verblüffend dem der mikroelektronischen Prozessoren. Wie diese bestehen die chemischen Schaltkreise aus übereinander gestapelten dünnen Schichten aktiver Materialen. Allerdings kommen nicht dotierte aktive elektronische Halbleitermaterialien wie Silicium zum Einsatz, sondern besondere Polymere, die aber ebenfalls die Basis für transistorähnliche Bauelemente bilden, die zu tausenden in den Chip integriert sind. Diese „chemischen Transistoren“ regeln keinen elektrischen Strom, sondern in winzigen Mikrokanälen Materieflüsse.
Die chemischen Mikrochips sind die ersten echten Lab-on-a-Chip-Mikroprozessoren, also eine Art Labor auf dem Mikrochip. Sie benötigen im Gegensatz zu den bisherigen Lab-on-a-Chips keinerlei externe Steuerung, da sie vollautomatisch arbeiten und ausschließlich mit chemischer Energie betrieben werden. Dabei können sie schon heute Aufgaben bewältigen, bei denen die meisten bestehenden Lab-on-a-Chip-Technologien trotz ihrer aufwändigen Computersteuerungen passen müssen. Die Wissenschaftler hoffen, dass ihr Konzept perspektivisch eine Entwicklung anstößt, die vergleichbar mit jener der elektronischen Mikroprozessoren ist, deren Einführung Anfang der siebziger Jahre den Siegeszug der Mikroelektronik einleitete.
Die Zukunft ihrer chemischen Mikroprozessoren sehen die Forscher im Bereich der Medizin, Umwelt, Prozesstechnik und anderen Wissenschaftsbereichen. Dort basieren viele, vielleicht die meisten Prozesse auf der Verarbeitung von Materialien. Kann man diese Prozesse mit einem „chemischen Computer“ durchführen oder berechnen, ergeben sich noch gar nicht absehbare Möglichkeiten. Als eine der ersten Anwendungen arbeiten die Wissenschaftler an Systemen, die die Analytik und medizinische Diagnostik unterstützen sollen. Man kann sich diese ähnlich einem Smartphone vorstellen, welches anhand eines Tröpfchens Körperflüssigkeit sofort feststellen kann, wie es dem betroffenen Menschen gesundheitlich geht, welche akuten Krankheiten er hat und was die nächsten notwendigen Maßnahmen sind.
Der chemische Mikroprozessor wurde auf der 4. International Conference „Smart Materials, Structures and Systems“ in Montecatini Terme, Italien, präsentiert und wird demnächst auch ausführlich in einem Artikel in der Zeitschrift Lab on a Chip beschrieben.
(Technische Universität Dresden, 19.06.2012 – NPO)