Geowissen

Autopsie einer Eruption

Wie Magmafluss, Kristallwachstum und seismische Aktivität zusammenhängen

Falschfarbenbild sogenannter Orthopyroxen-Kristalle aus dem Magma, die die Forscher in der forensischen Analyse des Mount St. Helens-Ausbruchs 1980 verwendeten. Unterschiedliche Farben reflektieren unterschiedliche chemische Zusammensetzungen. Gelb stellt etwa eine besonders eisenreiche Zone dar. © Dr. Kate Saunders, University of Bristol

Wie die Vorgänge tief im Inneren von Vulkanen mit den an der Oberfläche gemessenen seismischen Daten zusammenhängen, hat jetzt ein deutsch-britisches Forscherteam genauer untersucht. Wie sie in der Fachzeitschrift „Science“ berichten, sind das Wachstum von Kristallen in der Magmakammer und die seismische Aktivität an der Oberfläche korreliert. Die Ergebnisse könnten in Zukunft dazu beitragen, Vulkanausbrüche genauer vorherzusagen.

Einige Kilometer unterhalb eines Vulkans befindet sich ein flüssiges Reservoir, die Magmakammer, das Vulkanausbrüche speist. Im Magma wachsen Kristalle konzentrisch wie Baumringe. Wenn sich die physikalischen Bedingungen, zum Beispiel die Temperatur, in der Magmakammer ändern, ändert sich auch die chemische Zusammensetzung der Kristalle. So entstehen Kristallzonen, die die Prozesse im Inneren des Vulkans über die Zeit hinweg widerspiegeln. Bei einem Vulkanausbruch werden die Kristalle zusammen mit dem flüssigen Anteil des Magmas an die Erdoberfläche geschleudert, welches dann nach kurzer Zeit erstarrt und untersucht werden kann.

Mount St. Helens als Modellfall

Für ihre Studie analysierten die Forscher die chemische Zusammensetzung von Gesteinsproben des Mount St. Helens. Diese Daten korrelierten sie mit seismologischen Messungen von der tödlichen Eruption des Vulkans im Jahr 1980. Resultat: Phasen von stark erhöhtem Kristallwachstum gingen mit zunehmender seismischer Aktivität und stärkeren Gasemissionen einher. Ein erhöhtes Kristallwachstum wiederum zeigt an, dass verstärkt flüssiges Magma in die Magmakammer einströmte, was letztlich den Vulkanausbruch auslöste. Damit bestätigten die Forscher den lange vermuteten Zusammenhang zwischen dem Magmafluss tief in der Erde und Anzeichen für einen Vulkanausbruch an der Oberfläche.

Relevant für viele Millionen Menschen

Über 500 Millionen Menschen leben in der Nähe von Vulkanen, die ohne oder mit wenig Anzeichen ausbrechen können. Solche Eruptionen richten oft großflächige Schäden an, stören den Luftverkehr oder wirken sich gar global auf das Klima aus. Viele dieser Vulkane werden kontinuierlich überwacht, um Änderungen in der seismischen Aktivität oder Verformungen im Untergrund festzustellen. Bislang war es jedoch problematisch, die Beobachtungen an der Oberfläche im Hinblick auf die Vorgänge im Untergrund zu interpretieren. Die sogenannte forensische Methode, die das englisch-deutsche Team anwandte, kann auf andere Vulkane übertragen werden. So lassen sich seismische Aktivitäten vor einer Eruption besser mit Prozessen im Inneren des Vulkans in Relation bringen – und künftige Ausbrüche genauer vorhersagen.

Zeitskalen: Bochumer Spezialgebiet

Zeitliche Informationen aus den Kristallringen zu extrahieren, ist ein Spezialgebiet des Bereichs Petrologie am Institut für Geologie, Mineralogie und Geophysik in Bochum. Eine ähnliche Studie führten die RUB-Wissenschaftler zusammen mit Wissenschaftlern aus Singapur und Pisa bereits an einem anderen aktiven Vulkan durch, dem Ätna in Italien. Für diese Studien nutzen die RUB-Forscher die Information, wie schnell sich bestimmte Elemente durch Minerale bewegen (Diffusion). (Science, 2012; doi: 10.1126/science.1220066)

(Science, 29.05.2012 – NPO)

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