Medizin

Misshandlungen und Gewalt beschleunigen das Altern bei Kindern

Traumatische Erlebnisse hinterlassen ihre Spuren im Erbgut der Kleinen

Kinder mit Bilderbuch © Hermera

Gewalt lässt Kinder schneller altern: Die Enden der Chromosomen in ihren Körperzellen verkürzen sich sehr viel rascher, wenn sie Mobbing, Misshandlungen oder häuslicher Gewalt ausgesetzt sind. Der Effekt ist schon im Alter zwischen fünf und zehn Jahren nachweisbar, haben britische und US-amerikanische Forscher jetzt entdeckt. Die Chromosomenenden, auch Telomere genannt, sind eine Art molekulare Uhr und zeigen das biologische Alter an. Kurze Telomere werden mit einer erhöhten Anfälligkeit für verschiedene Krankheiten, einem frühen Verlust der geistigen Leistungsfähigkeit und einer geringeren Lebenserwartung in Verbindung gebracht. Die Ergebnisse seien daher das fehlende Glied, das Traumata in der Kindheit mit solchen Problemen im späteren Leben in Verbindung bringe, schreiben Idan Shalev von der Duke-Universität in Durham und seine Kollegen im Fachmagazin „Molecular Psychiatry“

.

Kindheitstraumata unter Verdacht

Die Telomere sind fadenartige Strukturen am Ende jedes Erbgutmoleküls, die sich im Lauf des Lebens bei jeder Zellteilung verkürzen. Unterschreiten sie dabei eine kritische Länge, geht wichtige genetische Information verloren und die Zelle kann ihre Aufgaben nicht mehr voll erfüllen. Daher ist die Telomerlänge ein Indikator für die Lebenserwartung einer Zelle und gilt als einer der Schlüsselfaktoren beim Altern. Frühere Studien hatten bereits gezeigt, dass auch bestimmte äußere Einflüsse die Verkürzung der Telomere beschleunigen können – wie etwa Rauchen, Übergewicht und chronischer Stress. Auch Traumata in der Kindheit galten bereits seit längerem als möglicher Einflussfaktor. Ein definitiver Nachweis habe aber noch ausgestanden, schreibt das Team.

Um diesen zu erbringen, entschieden sich Shalev und seine Kollegen dafür, eine Untergruppe der sogenannten E-Risk-Studie zu untersuchen. Bei dieser Langzeituntersuchung werden über 1.000 Zwillingspaare, die in den Jahren 1994 und 1995 in Großbritannien geboren wurden, zusammen mit ihren Familien bis heute begleitet. Das Team wählte für die aktuelle Untersuchung insgesamt 236 Kinder aus, von denen im Alter von fünf und zehn Jahren Abstriche aus der Mundschleimhaut für DNA-Analysen genommen worden waren. Zudem befragten die Forscher Mütter und andere Erziehungsberechtigte zu möglichen Gewalterlebnissen, denen die Kinder ausgesetzt waren.

Bindeglied zwischen Stress und schlechtem Gesundheitszustand

Knapp 42 Prozent der Kinder waren in ihrem Leben bereits Opfer von Misshandlungen, Mobbing und/oder häuslicher Gewalt gewesen, ergab die Auswertung. Bei diesen Kindern hatten sich die Telomere in den fünf Jahren zwischen den beiden DNA-Tests deutlich stärker verkürzt als bei ihren Altersgenossen, die keine Gewalt erlebt hatten. Besonders stark war der Effekt bei denjenigen, die mehr als einer Art von Gewalt ausgesetzt waren. Er blieb auch dann bestehen, wenn die Forscher den sozioökonomischen Status, den Body-Mass-Index und das Geschlecht mit in die Auswertung einbezogen.

Die Ergebnisse zeigten, wie traumatische Erfahrungen in der Kindheit buchstäblich unter die Haut gehen können, resümieren die Wissenschaftler. Sie vermuten, dass der Stress das Immunsystem übermäßig aktiviert oder die Menge an sogenannten freien Radikalen im Körper erhöht und dass das wiederum unmittelbar die Telomere beeinflusst. Die Ergebnisse sollen nun noch in größeren Studien und mit älteren Kindern überprüft werden.

(doi: 10.1038/mp.2012.32)

(Molecular Psychiatry, 25.04.2012 – NPO)

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