Fledermäuse sind der Ursprung zahlreicher Infektionserreger. Bei der Untersuchung verschiedener Fledermausarten hat ein internationales Forscherteam rund 60 neue Arten von Paramyxoviren. Zu dieser Virengruppe gehören Krankheitserreger für Masern, Mumps und Lugenentzündungen. Die Ausrottung vieler gefährlicher Krankheiten könnte nun schwieriger sein als bislang angenommen, weil die Fledermäuse ein Reservoir bilden, aus dem Viren nach Impfkampagnen zurückkommen können. Die Ergebnisse sind nun in der aktuellen Ausgabe von „Nature Communications“ veröffentlicht.
Woher kommen für Menschen gefährliche Viren – und wie haben sie sich im Lauf ihrer Evolution entwickelt? Wissenschaftler um Christian Drosten, Leiter des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Bonn, sind bei der Beantwortung dieser Frage einen entscheidenden Schritt vorangekommen. „Wir wussten bereits von vorherigen Arbeiten, dass Fledermäuse und Nager als Träger von Paramyxoviren eine Rolle spielen“, sagt Drosten. Die vielfältigen Mitglieder dieser großen Virusfamilie verursachen beim Menschen etwa Masern, Mumps, Lungenentzündungen und Erkältungskrankheiten. Die hochgefährlichen Hendra- und Nipahviren führen zu Gehirnhautentzündungen, an denen jeder zweite infizierte Mensch stirbt. Auch in der Tiermedizin spielen Paramyxoviren eine wichtige Rolle, beispielsweise als Erreger der Hundestaupe oder der Rinderpest.
Zahl der bekannten Paramyxovirusarten verdoppelt
Mithilfe zahlreicher wissenschaftlicher Institute in Deutschland und auf der ganzen Welt untersuchten sie insgesamt 9.278 Tiere aus Europa, Südamerika und Asien. Darunter befanden sich 86 Fledermaus- und 33 Nagerarten. „Diese Tiere leben in sehr großen Sozialverbänden mit zum Teil Millionen Exemplaren“, berichtet der Bonner Virologe. „Der enge Kontakt begünstigt die Ansteckung untereinander und sorgt für eine große Vielfalt an zirkulierenden Viren.“ Mit molekularbiologischen Methoden identifizierten die Wissenschaftler, welche Virenarten sich in den Fledermäusen und Nagetieren tummeln. Nach eigenen Schätzungen entdeckten sie mehr als 60 neue Paramyxovirusarten. „Das sind etwa noch einmal so viele wie bislang bekannt waren“, sagt Drosten.
Mit bioinformatischen Methoden berechneten die Forscher einen gemeinsamen Stammbaum der neuen und bekannten Viren. Dann leiteten sie durch mathematische Verfahren daraus ab, in welchen Wirtstieren sich die Viren im Laufe ihrer Evolutionsgeschichte mit höchster Wahrscheinlichkeit eingenistet haben. „Unsere Analyse zeigt, dass die Urahnen der heutigen Paramyxoviren fast alle in Fledermäusen existiert haben“, sagt Drosten. „Wie bei der Influenza, wo wir die Vögel als Quelle neuer Pandemieviren im Auge haben, müssen wir nun die Viren der Fledermäuse untersuchen, ob sie für den Menschen gefährlich sind.“ Die aktuellen Daten können also für die Früherkennung und Vorbeugung von Epidemien nützlich sein – ein großes neues Ziel in der Virusforschung.
Mumps-Viren sind auf den Menschen übergesprungen
Zu den Befunden zählt auch, dass die Hendra- und Nipahviren, die in Asien und Australien Hirnhautentzündungen hervorrufen, in Wirklichkeit aus Afrika stammen. „Hieraus ergibt sich die dringende Notwendigkeit, medizinische Studien in Afrika durchzuführen“, sagt der Bonner Virologe. Viele Krankheitsfälle auf diesem Kontinent blieben ungeklärt und seien unter Umständen auf solche neuartigen Viren zurückzuführen. In einem Fall fanden die Wissenschaftler bereits Belege dafür, dass Fledermausviren direkt auf den Menschen übergehen. „Unsere Daten zeigen, dass das menschliche Mumps-Virus direkt von Fledermäusen stammt – und auch bis heute dort vertreten ist“, berichtet Drosten.
Gefährliche Viren lassen sich absehbar nicht so leicht ausrotten
Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich gefährliche Viren nicht so leicht ausrotten lassen wie bislang angenommen. Denn um einen Erreger dauerhaft durch Impfungen aus der Bevölkerung zu entfernen, darf es keine Wirte im Tierreich geben, aus denen heraus es zu einer Neuinfektion kommen kann. „In den Fledermäusen vermuten wir ein umfangreiches Reservoir solcher Erreger“, sagt der Virologe. „Wenn nach Ausrottung von Viren die Impfprogramme gestoppt werden, lauert hier eine potenziell große Gefahr – vielleicht müssen wir neu nachdenken.“
Drosten plädiert deshalb für eine Berücksichtigung ökologischer Daten bei der Planung von Impfprogrammen. Eine Ausrottung von Fledermäusen oder anderen Wildtieren wäre weder möglich noch sinnvoll. „Fledermäuse und andere wild lebende Kleinsäugetiere sind von unschätzbarem Wert für die Ökosysteme unseres Planeten“, so die einhellige Meinung von Drosten und seinen Kollegen.
(Nature Communications, 2012; DOI: 10.1038/ncomms1796)
(Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, 25.04.2012 – NPO)