Neurobiologie

Leitungen im Gehirn sind überraschend geometrisch

Kartierung enthüllt dreidimensional geordnete Gitterstruktur statt Fasergewirr

Nervenfasern in der linken Gehirnhälfte eines Menschen: Zu sehen ist ein Hauptbündel von Fasern, die von vorne nach hinten ziehen (violett), sie werden fast rechtwinklig von Faserschichten gekreuzt, die aus der Großhirnrinde nach innen ziehen (orange und gelb). © MGH-UCLA Human Connectome Project

Die Verschaltung unseres Gehirns gleicht eher einem säuberlich gewebten Stoff als einem Kabelgewirr: Die Nervenfasern sind erstaunlich geometrisch geordnet. Statt eines Durcheinanders von Leitungen durchzieht ein regelmäßiges Gitter von parallel und senkrecht zueinander angeordneten Faserschichten das Denkorgan. Das hat ein internationales Forscherteam herausgefunden. Zum Erstaunen der Wissenschaftler stießen sie weder bei vier Affenarten noch beim Menschen auf diagonale Verbindungen – alle Fasern folgten einem einfachen, dreidimensionalen Gittermuster. Die Entdeckung dieses Musters führe zu einem völlig neuen Verständnis darüber, wie das Gehirn funktioniere und wie es organisiert sei, berichten die Forscher im Fachmagazin „Science“.

„Ich glaube nicht, dass zuvor irgendjemand auch nur den Verdacht hatte, dass das Gehirn diese Art von konsequentem geometrischen Muster haben würde“, sagt Erstautor Van Wedeen von der Harvard Medical School. Alle Nervenverbindungen folgen demnach schon in der Embryonalentwicklung simplen Vorgaben: Sie können entweder nach oben, unten, rechts oder links wachsen. Diese vorgegebenen Richtungen erleichterten es den Nervenfasern, die richtigen Bindungsstellen zu finden, meint Wedeen.

„Der neue, hochaufgelöste Schaltplan unseres Gehirns ist ein Meilenstein der menschlichen Neuroanatomie“, kommentiert Thomas Insel, Direktor des National Institute of Mental Health (NIMH) die Ergebnisse der Forscher. Denn die Verschaltung bilde die Basis der Hirnfunktionen. Sie könne nun mit Hilfe der neuen Karte besser erforscht und verortet werden. „Die neue Abbildungstechnologie könnte aber auch die Diagnose und Behandlung von neurologischen Erkrankungen erleichtern“, sagt Insel.

Verschaltungen im Gehirn eines Rhesusaffen, der Ausschnitt verdeutlicht die regelmäßige Anordnung von parallelen Faserschichten, die andere nahezu im rechten Winkel kreuzen. © Van Wedeen, MGH Radiology, Harvard Medical School

Neue Abbildungstechnik macht Verschaltungsmuster sichtbar

Möglich wurde der tiefe Einblick in die Verschaltung des Gehirns erst durch eine neu entwickelte Technik, die sogenannte Diffusions-Spektrum-Magnetresonanz-Tomografie. Mit Hilfe dieses Geräts konnten die Forscher erstmals die Orientierung aller Nervenfasern an einem bestimmten Punkt im Gehirn sichtbar machen.

Stück für Stück analysierten die Forscher mit der neuen Methode verschiedene Bereiche in den zentralen Gehirnbereichen von Rhesusaffen und drei weiteren Affenarten sowie dem Menschen. 25 Prozent des Gehirns kartierten sie auf diese Weise. Die Gitterstruktur der Verschaltung zeigte sich sowohl in der Großhirnrinde, dem Sitz höheren Denkens, als auch in den Zentren, die Gefühle und Sinneseindrücke verarbeiten, wie die Forscher berichten.

Nach Ansicht der Wissenschaftler erklärt die geordnete Struktur der Verschaltungen auch, warum das Gehirn sich so gut an Veränderungen anpassen kann. „Es ist leichter für eine einfache, regelmäßige Struktur, sich anzupassen – egal ob es um die großen Änderungen im Laufe der Evolution geht oder um die Veränderungen während der Lebenszeit eines Einzelnen“, sagt Wedeen. (Science, 2012; doi:10.1126/science.1215280)

(Science, 30.03.2012 – NPO)

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