Die Kieselalge Fragilariopsis cylindrus gedeiht dort, wo viele andere Lebewesen in eine Kälte-Schockstarre fallen würden – im Meereis der Arktis und Antarktis. Ihr Überleben garantiert ein Antifrost-Protein, das die Alge an ihre Umgebung abgibt. Biologen ist es nun gelungen, den genetischen Bauplan dieses natürlichen Frostschutzmittels zu entschlüsseln und das Eiweiß biotechnologisch herzustellen. In einem gemeinsamen Projekt mit Lebensmittelforschern vom ttz Bremerhaven soll jetzt untersucht werden, ob der Algen-Frostschutz auch Tiefkühl-Brötchen vor der zerstörerischen Kraft der Eiskristalle bewahren kann.
Die Kieselalge Fragilariopsis cylindrus hat sich einen der extremsten Lebensräume der Welt ausgesucht: das Meereis in den Polarregionen. Sie besiedelt die kleinen Kanäle und Hohlräume, die entstehen, wenn Meerwasser zu Eis gefriert. Das Wasser in diesen winzigen Eishöhlen kühlt sich im Extremfall auf bis zu minus 20 Grad Celsius ab und ist dann fast sieben Mal salziger als normales Meerwasser. Der Alge aber können Frost und Salzlauge nahezu nichts anhaben. Sie wappnet sich und produziert ein sogenanntes Antifrost-Eiweiß, das sie an ihre Umgebung abgibt.
„Am Anfang unserer Untersuchungen wussten wir, dass in der Natur verschiedene Antifrost-Proteine vorkommen, die auch ganz unterschiedliche Aufgaben haben. In Fischen zum Beispiel senken sie den Gefrierpunkt des Blutes. Bei Pflanzen sorgen sie für den Fall, dass sich einmal Eis gebildet hat, dass die einzelnen Kristalle kaum an Größe gewinnen und dem Gewebe auf diese Weise nicht schaden können“, sagt Maddalena Bayer-Giraldi, Biologin am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in der Helmholtz-Gemeinschaft.
Neue Gruppe der Frostschutz-Proteine
Die Wissenschaftlerin geht der Frage nach, wie Leben im Eis überhaupt möglich ist und stellte bei ihren Untersuchungen der Eisalge schnell fest: Das Frostschutz-Protein von Fragilariopsis cylindrus passte in keine bekannte Eiweiß-Gruppe. „Es hat sich gezeigt, dass das Antifrost-Protein dieser Kieselalge zu einer neuen Gruppe der Frostschutz-Eiweiße gehört. Es senkt zwar auch leicht den Gefrierpunkt des Wassers. Viel markanter sind jedoch seine Eigenschaften, das Wachstum der Eiskristalle zu hemmen, die Mikrostruktur der Eiskristalle zu verändern und damit die Textur des Eises. Wir vermuten, dass sich auf diese Weise das Eis so entscheidend verändert, dass die Salzlauge nicht ausgewaschen wird. Sie verbleibt in den Kanälen, weshalb die kleinen Gänge und Hohlräume im Eis nie ganz zufrieren. Sie verengen sich nur, bleiben aber als Lebensraum für die Alge erhalten“, sagt Maddalena Bayer-Giraldi.