Evolution

Neandertalern drohte vor 50.000 Jahren das Aus

Drastischer Einschnitt in der Bevölkerungszahl lang vor Ankunft des modernen Menschen in Europa

Zähne eines Neandertalerjungen, die in Nordspanien gefunden wurden und aus denen für die Studie mitochondriale DNA extrahiert wurde. © Centro de Evolución y Comportamiento Humanos (UCM-ISCIII)

Die Neandertaler Europas standen schon zehntausend Jahre vor Ankunft des modernen Menschen kurz vor dem Aussterben: Vor rund 50.000 Jahren ging die Zahl der Eiszeitmenschen in Mittel- und Westeuropa plötzlich drastisch zurück. Das hat ein internationales Forscherteam festgestellt, als es das Erbgut von 13 Neandertalern analysierte. Von diesem Fast-Aussterben erholten sich die Neandertaler aber offenbar noch einmal: Ihre Zahl stieg in den folgenden 10.000 Jahren wieder langsam an, bis sie dann vom aus Afrika einwandernden Homo sapiens endgültig verdrängt wurden.

Abzulesen sei diese Entwicklung am Genom der Eiszeitmenschen: Die Neandertaler Westeuropas hätten nach dem Einschnitt vor rund 50.000 Jahren eine deutlich geringere genetische Vielfalt besessen als davor – das sei ein Hinweis auf ein Fast-Aussterben dieses Menschentyps in dieser Region. Die bisherige Sicht einer über hunderttausende von Jahren stabilen Neandertalerpopulation müsse daher revidiert werden, berichten die Forscher im Fachmagazin „Molecular Biology and Evolution“.

Neandertaler reagierten sensibler auf Klimaänderungen als gedacht

„Es war für uns eine völlige Überraschung, dass die Neandertaler in Europa fast ausstarben lange bevor sie in Kontakt mit den modernen Menschen kamen“, sagt Erstautor Love Dalén vom Schwedischen Museum für Naturgeschichte in Stockholm. Dies deute darauf hin, dass die Neandertaler viel sensibler auf die dramatischen Klimaänderungen nach der letzten Eiszeit reagiert haben könnten als bisher angenommen.

Mitochondriale DNA spiegelt Einschnitt wider

Für ihre Studie hatten die Wissenschaftler Erbgut aus den Knochen von 13 verschiedenen Neandertalern aus unterschiedlichen Fundorten in Europa isoliert und untersucht. Ihr Schwerpunkt lag dabei auf der mitochondrialen DNA, einem außerhalb des Zellkerns gespeicherten Teil des Erbguts. Dieser wird nur von der Mutter an ihre Töchter weitervererbt und ermöglicht so die Rekonstruktion der mütterlichen Linie des Stammbaums.

Die Analysen ergaben, dass das Genom der Neandertaler aus der Zeit nach dem Fast-Aussterben extrem verarmt war. Knochen aus der gleichen Region, die älter als 50.000 Jahre alt waren, aber auch Knochen aus Osteuropa seien genetisch erheblich vielfältig gewesen.

Einwanderungswelle nach Fast-Aussterben

Das Erbgut der Neandertaler deute auf einen fast völligen Austausch der Bevölkerung in Westeuropa vor 50.000 Jahren hin, sagen die Wissenschaftler: Offenbar seien nach dem Fast-Aussterben neue Gruppen von Neandertalern aus Osteuropa und Asien in die nahezu verwaisten Gebiete eingewandert. Dadurch sank die genetische Vielfalt der nachfolgenden Generationen, weil sie alle auf diese kleinen Gruppen neuer Einwanderer zurückgingen. (Molecular Biology and Evolution, 2012; doi: 10.1093/molbev/mss074)

(Molecular Biology and Evolution / dapd, 28.02.2012 – NPO)

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