Forscher haben aufgedeckt, wie Meeresalgen unliebsame Konkurrenten ausschalten: Sobald die ersten Sonnenstrahlen ins Wasser eindringen, beginnen die am Meeresboden lebenden Kieselalgen der Art Nitzschia cf pellucida mit einer todbringenden Morgentoilette: Die nur wenige Mikrometer großen Algen hüllen sich und ihre Umgebung in ein hochtoxisches Gift. Wie eine molekulare Zahnbürste, die andere Mikroorganismen gründlich entfernt, desinfiziert diese morgendliche chemische Keule den Untergrund, auf dem die Kieselalgen wachsen.
„So können sie selbst ideal gedeihen und sie halten damit direkte Konkurrenten um Licht und freie Fläche in Schach“, sagt Georg Pohnert von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Er und seine Kollegen haben den chemischen Rundumschlag der Kieselalgen aufgeklärt und jetzt in der aktuellen Ausgabe des renommierten Magazins „Proceedings of the National Academy of Sciences“ publiziert.
Hochgiftiges Stoffwechselgift
Bromcyan ist ein chemischer Verwandter der Blausäure, der allerdings wesentlich giftiger ist als diese. Das hochtoxische Stoffwechselgift wird unter anderem zum Auslaugen von Golderzen eingesetzt. Während des ersten Weltkriegs kam es auch als chemische Waffe zum Einsatz. „Bisher war nicht bekannt, dass dieses Gift in der belebten Natur überhaupt vorkommt“, sagt Pohnert. Für Nitzschia cf pellucida scheint die Produktion von Bromcyan aber eine leichte Übung zu sein. Sobald die ersten Sonnenstrahlen durch das Wasser dringen, beginnt es in der zelleigenen Giftküche zu arbeiten. „Zwei bis vier Stunden nach Tagesanbruch ist die Konzentration des abgegebenen Bromcyans am höchsten, später nimmt sie schnell wieder ab“, erläutert Pohnert ein Ergebnis der aktuellen Studie.
Alge ist immun gegen das Gift
Warum das Gift dabei den Kieselalgen selbst nichts anhaben kann, darüber rätseln die Forscher derzeit noch. Fest steht: Während die Algenkonkurrenz nach spätestens zwei Stunden unter Bromcyan die Waffen streckt, macht das Gift in dieser Zeit Nitzschia cf pellucida nichts aus. Die Gründe dafür zu finden, ist eines der Forschungsziele, das die Jenaer Wissenschaftler und ihre belgischen Partner als nächstes verfolgen wollen.
Das sei jedoch reine Grundlagenforschung, wie Chemiker Pohnert betont. Für eine praktische Anwendung – etwa um unliebsamen Algenbewuchs einzudämmen – sei Bromcyan gänzlich ungeeignet. Denn fest steht, dass dabei nicht nur die Algen Schaden nehmen würden. (PNAS, 29012; doi:10.1073/pnas.1108062109)
(Friedrich-Schiller-Universität Jena, 31.01.2012 – NPO)