Haiti und der Dominikanischen Republik könnten in näherer Zukunft weitere schwere Erdbeben bevorstehen. Denn das katastrophale Erdbeben im Januar 2010 war möglicherweise nur das erste einer ganzen Serie. Das vermuten US-amerikanische Forscher, nachdem sie die Erdbeben der letzten 500 Jahre in dieser Region untersucht hatten. Vieles deute darauf hin, dass die Enriquillo-Verwerfung unter der Insel Hispaniola nach 240 Jahren relativer Ruhe nun wieder seismisch aktiv sei, berichten die Forscher im Fachmagazin „Bulletin of the Seismological Society of America“.
Die Auswertung der historischen Daten ergab, dass sich zuletzt im 18. Jahrhundert eine Serie starker Erdbeben entlang der Enriquillo-Verwerfung ereignete. Auslöser dieser seismisch aktiven Phase war ein Beben im Jahr 1701, das dem vom Januar 2010 in Position und Stärke sehr ähnelte.
Bald neue katastrophale Erdbeben?
240 Jahre lang, von 1770 bis 2010, habe es dann in diesem Gebiet keine vergleichbar starken Erdbeben mehr gegeben, sagen die Forscher. Das allerdings sei alles andere als beruhigend. Denn in dieser Ruhepause verschoben sich die beiden in der Verwerfung verhakten Krustenplatten weiter gegeneinander, wahrscheinlich um sieben Millimeter pro Jahr. Dadurch wuchs der Druck im Untergrund, ohne dass sich die Spannung in Starkbeben entladen konnte.
Das Beben vom Januar 2010 zeige, dass die Spannung in der Enriquillo-Verwerfung heute wieder ausreichend hoch sei, um starke Erdbeben hervorzurufen. „Eine sich im 21. Jahrhundert wiederholende Serie zerstörerischer Erdbeben entlang des Enriquillo-Systems erscheint daher durchaus plausibel“, schreiben William Bakun vom U.S. Geological Survey im kalifornischen Menlo Park und seine Kollegen. Haiti und die Dominikanische Republik sollten sich daher auf zukünftige katastrophale Erdbeben vorbereiten.
Seismischer Zyklus ähnlich dem in San Francisco
Nach Ansicht der Forscher könnte das Aktivitätsmuster der Enriquillo-Verwerfung dem in der Region San Francisco ähneln. Dort gebe es einen rund hundert Jahre dauernden seismischen Zyklus. „Jeder Zyklus besteht aus einer Periode starker Erdbebenaktivität, die in einem besonders heftigen Beben kulminiert. Darauf folgt jeweils eine Ruhephase“, erklären Bakun und seine Kollegen. Ähnlich, nur mit einer Wiederholungsrate von 250 bis 300 Jahren, könnte dies auch für Hispaniola gelten.
Periodisch wiederkehrende Aktivität
Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass sich die Enriquillo-Verwerfung vor der Erdbebenserie des 18. Jahrhunderts schon einmal einer Ruhephase befand. Aus dem 16. und 17. Jahrhundert gebe es kaum Berichte über Erdbeben im Süden Hispaniolas, sagen die Forscher. Da diese Region damals besiedelt gewesen sei und größere Zerstörungen von Städten sicherlich überliefert worden wären, deute dies darauf hin, dass die Verwerfung damals ruhig war – ähnlich wie dann wieder im 19. und 20. Jahrhundert. Auch das spreche für eine periodisch wiederkehrende Aktivität. (Bulletin of the Seismological Society of America, 2012)
(Bulletin of the Seismological Society of America / dapd, 27.01.2012 – NPO)