Nanotechnologie

Forscher kreieren molekulares Legospiel

Komplexe Nanostrukturen bilden sich in gesteuerter Selbstorganisation

Wie ein Reißverschluss lagern sich zwei Ketten aus Porphyrin-Molekülen aneinander, die sich zuvor aus einzelnen Molekülen gebildet haben. Dieser hierarchische Aufbau einer Nanostruktur, den die Illustration veranschaulicht, wird durch unterschiedliche Bindungsstellen an den Molekülen ermöglicht. © Leonhard Grill/ Fritz-Haber-Institut der MPG

Nanomaschinen, die wie eine unsichtbare Putzkolonne Oberflächen reinigen, oder elektronische Bauteile in Molekülgröße, die Computer gleichzeitig rasend schnell und Energie sparend machen würden: bislang sind das Visionen der Nanotechnologie. Doch nun sind Forscher diesen einen Schritt näher gekommen. Mit einem neuen Verfahren haben sie die Selbstorganisation von einzelnen Molekülen zu einer komplexen Struktur gesteuert.

Mit der Methode der Wissenschaftler um Leonhard Grill vom Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin lässt sich der Aufbau eines Netzwerkes aus Molekülen Schritt für Schritt programmieren. Diese gesteuerte Selbstorganisation erlaubt es, eine komplexe Struktur aus verschiedenartigen Bausteinen entstehen zu lassen, was im Prinzip das Kombinieren von Nano-Bauteilen zu einem funktionalen System, etwa einen molekularen Schaltkreis möglich macht. Außerdem führt sie zu einer besseren Qualität der Struktur als eine ungeregelte Selbstorganisation, schreiben die Forscher in der Fachzeitschrift „Nature Chemistry“.

Chips werden immer leistungsfähiger

Hersteller fertigen Computerchips heute auf ähnliche Weise wie ein Bildhauer: In eine Platte aus Silizium modellieren sie Leiterbahnen. Seit Jahrzehnten gelingt es ihnen, immer feinere Strukturen in die Siliziumplatten zu ziselieren, wodurch die Speicherdichte und die Leistungsfähigkeit von Chips stetig ansteigen.

Die Miniaturisierung stößt aber zunehmend an Grenzen. Diese könnte in Zukunft überwunden werden, indem elektronische Bauteile nicht mehr durch Entfernen von Materie aus einem größeren Stück, sondern durch Zusammenfügen von denkbar kleinen Bausteinen, nämlich einzelnen Molekülen, zu einer komplexen Struktur, etwa einem Nanodraht oder einem molekularen Transistor, entstehen. Auch Nanomaschinen, beispielsweise ein Nano-Auto mit Rädern und Chassis, das etwa tausendmal kleiner wäre als ein Haar dick, oder besonders reißfeste Folien, die aus fehlerfrei miteinander verknüpften Molekülen aufgebaut sind, könnten so entstehen.

Selbstorganisation von Molekülen im Visier

Helfen soll bei diesem so genannten bottom-up-Ansatz die Selbstorganisation von Molekülen. Unter geeigneten Bedingungen fügen sich nämlich Moleküle spontan zu geordneten Strukturen zusammen. Es ist ungefähr so, als würden Legosteine von selbst zu einem Lego-Auto zusammenfinden. Was wie Zauberei klingt, passiert in der Natur tagtäglich seit Jahrmillionen. So entstehen etwa Proteine mit einer komplexen und gleichzeitig wohldefinierten räumlichen Struktur aus hunderten einzelner Aminosäuren.

Das Ziel der Berliner Forscher, in Zusammenarbeit mit Chemikern der Humboldt-Universität Berlin und Physikern des Laboratorio TASC in Trieste, war es, auf einer Goldoberfläche aus Porphyrin-Molekülen ein stabiles und regelmäßiges zweidimensionales Netzwerk zu knüpfen. Dabei wollten sie besonders feste chemische Bindungen zwischen den Porphyrin-Molekülen, so genannte kovalente Bindungen, herstellen. Dies ist ein Unterschied zur Natur, wo die komplexen Strukturen meist durch schwächere Bindungen, zum Beispiel so genannte Wasserstoffbrückenbindungen, entstehen. Für die Technik bieten die kovalenten Bindungen den Forschern zufolge klare Vorteile, da sie zu robusten Materialien führen und möglicherweise gut Strom leiten können.

Die Wissenschaftler verwendeten dafür ein zuvor schon erprobtes Verfahren: An die vier Enden des Porphyrin-Moleküls, die wie bei einem Pluszeichen rechtwinklig in vier Richtungen weisen, banden sie Halogenatome. Diese sind etwas schwächer als die anderen Atome im Molekül gebunden und lösen sich bei Erhitzen vom Porphyrin-Molekül. Dadurch werden dessen vier Enden reaktiv und verbinden sich miteinander.

Zwei unterschiedliche Platzhalter

Das Neue an der Arbeit der Berliner Forscher besteht darin, dass sie zwei unterschiedliche Halogene, nämlich Iod und Brom, jeweils an gegenüberliegenden Enden des Porphyrin-Moleküls angebunden haben. Durch das Verwenden von zwei unterschiedlichen Platzhaltern öffnet sich die Tür zur Steuerung des Prozesses. Diese geschieht über die Temperatur: Das Jod ist schwächer gebunden als das Brom und löst sich bereits komplett, wenn die Goldoberfläche auf 120 Grad Celsius erwärmt wird. Das Brom löst sich erst bei ungefähr 200 Grad Celsius.

„Auf diese Weise lässt sich durch einen einfach kontrollierbaren äußeren Parameter, nämlich die Temperatur, die Verknüpfung der Moleküle in zwei Schritte aufteilen“, erläutert Grill.

Bausteine eines molekularen Legospiels: Die dreidimensionale rastertunnelmiskroskopische Aufnahme zeigt zwei miteinander verbundene Porphyrin-Moleküle. Die roten Erhebungen an den Enden bezeichnen die Position von Iod-Atomen, die den Verknüpfungs-Schritt zu Molekülketten ermöglichen. © Leonhard Grill/ Fritz-Haber-Institut der MPG

Aufbau in mehreren Schritten ermöglicht komplexe Nanostrukturen

Weil sich die Iodatome an den gegenüberliegenden Enden jedes Porphyrin-Moleküls befinden, verbinden sich die Moleküle nach ihrer Ablösung zunächst zu Ketten, so die Wissenschaftler. Erhöht man die Temperatur weiter, löst sich das Brom und die Flanken der Ketten werden reaktiv. Dadurch verbinden sich die Ketten Flanke an Flanke miteinander, wodurch ein zweidimensionales Netzwerk entsteht.

„Mit unserer Methode lässt sich also ein hierarchischer Aufbau einer komplexen Struktur aus einzelnen Molekülen programmieren“, sagt Grill. Denn nach dem ersten Aktivierungsschritt entsteht aus Einzelbausteinen eine eindimensionale Struktur, aus der sich nach dem zweiten Schritt eine zweidimensionale ausbildet. Die Komplexität steigt also mit jedem Schritt an. „Dies ist unseres Wissens nach das erste Mal, dass eine Selbstorganisation auf Oberflächen in mehreren Schritten programmiert wurde.“

Größere Netzwerke und weniger Defekte

Mithilfe eines Rastertunnelmikroskops wiesen die Berliner Forscher nach, dass durch das neue Verfahren weniger Defekte – Unregelmäßigkeiten im Netzwerk – entstehen. Außerdem wachsen größere Netzwerke als bei einem Ein-Schritt-Verfahren. „Darüber hinaus öffnet die Zwei-Schritt-Methode die Tür zum selbstorganisierten Aufbau von heterogenen Strukturen“, sagt Grill. Er meint damit Strukturen, die aus mindestens zwei verschiedenen Molekülarten bestehen.

Auch dies demonstrierten die Berliner Forscher, indem sie eine zweite Molekülart (Dibromoterfluoren, kurz DBTF) hinzufügten, die fadenförmig ist und an deren Enden Bromatome hängen. Die nach dem ersten Aktivierungsschritt gebildeten Ketten aus Porphyrin-Molekülen verbanden sich nach der darauffolgenden Ablösung des Broms über Ketten aus DBTF untereinander.

„Dies zeigt, dass im Prinzip unterschiedliche Komponenten miteinander verbunden werden können, etwa ein molekularer Schalter mit einem Nanodraht, um ein mögliches Beispiel aus der molekularen Elektronik zu nennen“, sagt Grill.

Fernziel: molekulare Elektronik und Nanomaschinen

Auch damit begnügten die Berliner Forscher sich nicht und fanden noch eine weitere Möglichkeit, die Verknüpfung von Molekülen auf einer Goldoberfläche zu steuern. Anstatt einer glatten Oberfläche verwendeten sie in einem weiteren Versuch eine geriffelte. Bei dieser ragt jede fünfte Reihe von Goldatomen aus der Oberfläche heraus, so dass sich parallele Rillen bilden, ähnlich wie bei einem Spargelfeld. Es zeigte sich, dass sich die Netzwerke aus Porphyrin-Molekülen in einem bestimmten Winkel bezüglich dieser Rillen ausrichten.

„Die Rillen dirigieren die molekularen Strukturen auf der Oberfläche in eine bestimmte Anordnung“, erläutert Grill den Grund für diese Ausrichtung. Die Kontrolle über die Selbstorganisation werde es auf lange Sicht erlauben, komplexe Strukturen mit bestimmter Funktionalität aus einzelnen Molekülen aufzubauen, zeigt sich Grill überzeugt. Dies wollen die Berliner Forscher nun in einem nächsten Schritt erproben.

Nano-Maschinen bleiben vorerst Fiktion

Ein Spielfeld dafür bietet die molekulare Elektronik. So könne man versuchen, bestimmte Moleküle, die theoretisch wie elektronische Logik-Bauelemente in Computern funktionieren, in einen molekularen Schaltkreis einzubauen und die vermutete Funktionalität zu testen, sagt Grill. Oder man könne prüfen, ob sich ein Molekül, das wie ein Rad auf einer Unterlage rollt, mit einem aus Molekülen aufgebauten Chassis zu einer Art Molekül-Schubkarren verknüpfen lässt.

Grill betont, dass es sich hierbei weiterhin um Grundlagenforschung handeln wird. Nano-Maschinen, die Oberflächen reinigen, sowie energieeffiziente und blitzschnelle molekulare Computer bleiben, zumindest vorläufig, Stoff für Science-Fiction-Autoren. (Nature Chemistry, 2012; DOI: 10.1038/NCHEM.1242)

(MPG, 23.01.2012 – DLO)

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