Archäologie

Tranken die Sumerer doch kein Bier?

Studie: 4.000 Jahre alte Keilschriften aus Mesopotamien verraten wenig über die damalige Brautechnologie

Archaische Schrifttafel aus Mesopotamien (ca. 3000 v. Chr.): Die in Proto-Keilschrift verfasste Tafel gehört zur Gruppe der ältesten Schriftzeugnisse der Erde. Sie enthält Berechnungen der zur Herstellung verschiedener Getreideprodukte, darunter verschiedener Sorten Bier, erforderliche Ausgangsprodukte. © M. Nissen, 1990

Schon vor über 4.000 Jahren war ein vergorener Getreidesaft bei den alten Sumerern sehr beliebt. Ob es sich dabei jedoch tatsächlich um ein dem modernen Bier vergleichbares Getränk handelte wie bisher vermutet, ist nach Ansicht eines Max-Planck-Forschers mehr als fraglich. Die alten Keilschriften aus Mesopotamien würden nur wenig über die damalige Brautechnologie verraten. Es sei sogar unklar, ob der Getreidesaft überhaupt Alkohol enthielt.

Archäologische Funde bezeugen es: Schon zu Beginn der Zivilisation stand vergorener Getreidesaft bei den Bewohnern Mesopotamiens hoch in Kurs. Was aber außer den beiden Basisingredienzien Gerste und Emmer – einer Weizenart – in den Tonkrügen der Sumerer vor sich hinbraute, ist weitgehend unbekannt.

Trotz der Fülle der Fundstücke und Überlieferungen, die auf frühe Vorlieben für Getränke aus vergorenem Getreide hinweisen, ist es schwierig, die alten Methoden der Brauer zu rekonstruieren, hat der Wissenschaftshistoriker und Keilschriftexperte Peter Damerow vom Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin in einer neuen Studie herausgefunden.

Brautechnologien der Sumerer untersucht

Darin befasste sich der mittlerweile verstorbene Forscher ausführlich und intensiv mit den Brautechnologien der Sumerer. Seinen Ergebnissen zufolge gibt es große Zweifel, ob das in der Antike hochpopuläre Gebräu überhaupt ein Bier gewesen sein könnte.

Zwar enthielten viele der über 4.000 Jahre alten Keilschriftdokumente Aufzeichnungen über Lieferungen von Emmer, Gerste oder Malz an Brauereien sowie Dokumentationen des Vertriebs. Doch gebe es kaum Informationen über die Feinheiten des Herstellungsprozesses oder gar Rezepte zum Nachbrauen. Nach Angaben von Damerow wurden die Verwaltungstexte schließlich für eine Zielgruppe geschrieben, die mit den Details des Bierbrauens vertraut war. Sie seien nicht dafür gedacht gewesen, den modernen Leser über diese Prozesse aufzuklären.

Theorie gerät ins Wanken

Darüber hinaus unterscheiden sich auch die Methoden, wie diese Informationen aufgezeichnet wurden, zwischen den Orten und Zeitperioden. Außerdem liegt diesen Aufzeichnungen und Berechnungen Damerow zufolge kein einheitliches Zahlensystem zugrunde. Vielmehr hätten die sumerischen Bürokraten unterschiedliche Zahlensysteme verwendet, je nachdem, was sie zählen oder abmessen wollten.

Dadurch gerät laut Damerow auch die verbreitete Theorie ins Wanken, wonach die Braumeister Mesopotamiens gebackenes Fladenbrot aus Gerste oder Emmer in ihre Maische gebröckelt haben. Das so genannte „Bappir“ – sumerisch für „Bierbrot“ – sei in den administrativen Texten nie wie Brot gezählt worden, sondern in Maßeinheiten wie auch grobgemahlene Gerste registriert wurde.

Sehr standardisiert und damit wenig rezepttauglich erscheint Damerow zudem die Beobachtung, dass die Menge der Rohstoffe, die den Brauern von der zentralen Gemeingutverwaltung zugeteilt wurden, in einigen Fällen über Zeiträume von zehn Jahren unverändert blieben.

Brauvorgang bleibt rätselhaft

Auch die „Hymne an Ninkasi“, eine der wichtigsten Quellen zur antiken Braukunst liefert nach Damerows Auffassung keineswegs verlässliche Informationen über die Bestandteile und Abfolge des Brauvorgangs. Dieser lyrische Text aus der altbabylonischen Zeit um 1800 v. Chr. beinhaltet in Form eines mythologischen Gedichts oder Gesanges eine Glorifizierung des Bierbrauens.

Damerow zufolge wird das Procedere des Brauprozesses trotz des kunstvollen Versmaßes nicht schlüssig wiedergegeben. So liefert die Hymne einen nur unvollständigen Ablauf der einzelnen Arbeitsschritte. Beispielsweise fehlt die Angabe, wie das Keimen des Getreides zum richtigen Zeitpunkt gestoppt wurde. Die Vermutung, dass die Gerste in Haufen geschichtet wurde und durch Erhitzen und Trocknen das Austreiben der Keime beendet wurde, sobald die Getreidesprossen die richtige Größe hatten, bleibt nach Angaben des Forschers Spekulation.

Lokale Bedingungen sehr unterschiedlich

Auch der Inhalt der Hymne passt nicht so recht zu den Ergebnissen des Tall Bazi Experiments. Mit diesem hatten Archäologen der Universität München zusammen mit den Weihenstephaner Brauereiexperten ein Brauexperiment durchgeführt, um die antiken Brauvorgänge zu rekonstruieren. Zwar konnten sie in einem Kaltmaischverfahren ein Gebräu aus Gerste und Emmer herstellen, dessen Alkoholgehalt sie durch Veränderung des Wasseranteils variierten. Doch ist aus Sicht des Wissenschaftlers Damerow auch dieses Resultat mit Vorsicht zu genießen.

Was unter den besonderen Bedingungen von Tall Bazi funktioniert habe, müsse längst nicht an anderen Orten Mesopotamiens gleichermaßen abgelaufen sein, gibt er mit Verweis er auf die großen Unterschiede hinsichtlich der lokalen Bedingungen zu bedenken. Eigentlich zeige das Experiment nur, wie mit modernen Methoden ein Bier unter den in Tall Bazi vorherrschenden Bedingungen zustande kommen könne.

Kann man antike mit modernen Produkten vergleichen?

Solche Zweifel führen für ihn letztendlich zu einer Frage, die er für „weitaus grundlegender“ hält: In welchem Ausmaß es überhaupt möglich ist, antike Produkte mit modernen zu vergleichen. „Angesichts der begrenzten Kenntnisse über die sumerischen Brauprozesse wissen wir nicht einmal sicher, ob das Endprodukt überhaupt Alkohol enthielt“, schrieb Damerow. Tatsächlich ist keineswegs sicher, ob das Gebräu nicht eher eine größere Ähnlichkeit mit dem aus Osteuropa bekannten Brottrunk Kwas habe als mit einem Pils, Alt- oder Weißbier.

Dennoch hält er den Ansatz wie ihn die Forscher beim Tall-Bazi-Experiment verfolgten, für einen guten Weg, die offenen Fragen zur Frühgeschichte der Braukunst zu beantworten. „Solche interdisziplinären Forschungsbemühungen könnten zu auch einer besseren Interpretation der Hymne an Nikasi führen“, so Damerow. (Cuneiform Digital Library Journal 2012)

(MPG, 16.01.2012 – DLO)

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