Medizin

Opioid-Mittel löscht Schmerzgedächtnis schon nach Einmal-Gabe

Infusion macht chronische Nervenveränderungen bei Ratten rückgängig

Fluoreszenzmikroskopische Aufnahme der Nervenzellen im Rückenmark. Blau: Neuronen, die durch Schmerzreize aktiviert werden. © Science / AAAS

Eine einzige starke Dosis eines Morphium-ähnlichen Schmerzmittels kann chronische Schmerzen langfristig dämpfen. Die Einmal-Gabe macht die biochemischen Veränderungen rückgängig, die die schmerzleitenden Nervenbahnen überempfindlich werden lassen. Das haben Forscher in Versuchen mit Ratten festgestellt. Wurde den Tieren einmalig das Opioid-Schmerzmittel Remifentanil verabreicht, blieben sie auch lange nach Abbau des Mittels im Körper schmerzunempfindlicher. Ihre zuvor übererregbaren Nervenbahnen kehrten zum Normalzustand zurück. „Das zeigt, dass Opioide nicht nur kurzfristig Schmerzen dämpfen, sondern auch das Schmerzgedächtnis der Nervenbahnen im Rückenmark löschen können“, berichten die Forscher im Fachmagazin „Science“.

Als Schmerzgedächtnis bezeichnen Forscher die langfristigen Veränderungen, die bei chronischen Schmerzen in den Nervenzellen des Rückenmarks auftreten. Ähnlich wie die Zellen unseres Gehirns sind auch diese Nervenzellen anpassungsfähig. Werden sie längere Zeit starken Schmerzreizen ausgesetzt, verändert sich das Muster der in ihnen aktiven Gene. Sie bilden vermehrt Botenstoffe und Strukturen, um Schmerzreize effektiver an die nächste Nervenzelle übertragen zu können. Als Folge dieser sogenannte Chronifizierung reichen schon kleinste Reize aus, um ein starkes Schmerzempfinden hervorzurufen.

Heilen statt dämpfen

Wie die Forscher berichten, machte in ihren Versuchen eine einmalige, unter Narkose verabreichte Infusion des Schmerzmittels Remifentanil die chronischen Veränderungen der Nervenbahnen anhaltend rückgängig. Das Opioid habe bei den Ratten Signalwege aktiviert, die die Genaktivität in den schmerzleitenden Nervenzellen normalisierten. Damit sei auch deren Erregbarkeit wieder auf das normale Maß gesunken.

„Diese Ergebnisse liefern Anhaltspunkte dafür, dass es mit neuen therapeutischen Strategien möglich sein könnte, einige Formen chronischer Schmerzen dauerhaft zu heilen, statt sie nur zeitweilig zu dämpfen“, konstatieren Ruth Drdla-Schutting von der Medizinischen Universität Wien und ihre Kollegen.

Fluoreszenzmikroskopische Aufnahme von schmerzleitenden Nervenzellen (rot) im Rückenmark, die durch chronische Schmerzen verändert werden. © Science / AAAS

Ischiasnerv als Schmerzgenerator

Für ihre Studie reizten die Forscher den Ischiasnerv der Ratten durch Stromschläge, während diese in Narkose lagen. Die dadurch ausgelösten chronischen Veränderungen in den Schmerzbahnen des Rückenmarks prüften sie durch Präparation und Anfärben der Nervenzellen.

Nach der Chronifizierung erhielt eine Gruppe Ratten eine einstündige Infusion mit dem Opioid. Anschließend prüften Forscher erneut den biochemischen Zustand der Nervenleitbahnen. Dabei zeigte sich, dass das Mittel sowohl die Aktivität verschiedener Signalstoffe als auch die Genaktivität in den Nervenzellen normalisiert hatte. Sowohl die biochemische Normalisierung als auch die schmerzhemmende Wirkung des Opioids blieben auch noch vier Stunden nach Abbau des Mittels nachweisbar.

Ratten in Vollnarkose

Diese Wirkung habe man jedoch nur festgestellt, wenn das Mittel in einer hohen Dosis von 450 Mikrogramm pro Kilogramm Körpergewicht und Stunde verabreicht wurde, berichten Drdla-Schutting und ihre Kollegen. In solchen Konzentrationen wirkt das Opioid atemlähmend, daher mussten die Ratten während der Infusion in Vollnarkose versetzt und künstlich beatmet werden.

Die den Ratten verabreichte Dosis war um mehr als eine Größenordnung höher als die normalerweise zur Schmerzhemmung bei Operationen am Menschen eingesetzte. Doch man wisse, dass die meisten Mittel beim Menschen deutlich stärker wirkten als bei den Ratten, erklärt Studienleiter Jürgen Sandkühler von der Medizinischen Universität Wien. Daher rechne man durchaus damit, dass das Opioid bei menschlichen Patienten bereits in deutlich geringeren, verträglichen Dosierungen seine schmerzhemmende Wirkung entfalte. (Science, 2012; doi: 10.1126/science.1211726)

(Science / dapd, 13.01.2012 – NPO)

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