Raben beherrschen Verhaltensweisen, die man bisher nur von Menschen und Menschenaffen kannte: Sie nutzen Gesten, um Artgenossen auf einen Gegenstand hinzuweisen oder ihn zu präsentieren. Solche hinweisenden Gesten gelten als Vorstufe für komplexere Kommunikation und Sprache. Jetzt haben Forscher sie erstmals bei einem Vogel und damit einem nicht zu den Primaten gehörenden Tier nachgewiesen. Die Raben nutzten diese Gesten, um das Interesse eines potenziellen Partners zu prüfen oder eine bestehende Beziehung zu stärken, berichten die Wissenschaftler im Fachmagazin „Nature Communications“.
„Die Nutzung hinweisender Gesten in wildlebenden Raben bestätigt erneut, dass Rabenvögel in vielen geistigen Leistungen mit Affen vergleichbar sind und diese in mancher Hinsicht sogar übertreffen“, schreiben die Forscher. Für ihre Studie hatten Simone Pika vom Max-Planck Institut für Ornithologie in Seewiesen und Thomas Bugnyar von der Universität Wien das Verhalten wildlebender Rabenpaare in den Alpen gefilmt.
Dabei beobachteten die Wissenschaftler, dass die Raben ihre Schnäbel ähnlich wie Hände einsetzten. Sie hielten Objekte wie zum Beispiel Moos, kleine Steine und Zweige hoch und zeigten sie einander. Meist sei dies zwischen Raben unterschiedlichen Geschlechts zu beobachten gewesen, sagen die Forscher. Anschließend bearbeiteten die Raben häufig das gezeigte Objekt gemeinsam oder schnäbelten miteinander.
Kein bloßes Fütterungsverhalten
Nach Ansicht der Wissenschaftler handelt es sich bei diesem Zeigeverhalten nicht um eine bloße Abwandlung des häufig bei Vögeln beobachteten Fütterungsverhaltens. Stattdessen ziele die Geste eher darauf ab, sich der Aufmerksamkeit des Partners zu vergewissern. Da die Raben mit ihrem einmal gewählten Partner lebenslang zusammenbleiben, diene das Verhalten wahrscheinlich dazu, diese Beziehung zu festigen, meinen die Forscher.
„Die Funktion dieser Gesten ist damit ähnlich wie bei menschlichen Kleinkindern“, erklären die Wissenschaftler. Auch diese nutzten referenzielle Gesten vor allem gegenüber engen Familienangehörigen. Manchmal dienten sie aber auch dazu, in Situationen der Unsicherheit eine Beziehung zum Gegenüber aufzubauen oder zu stärken. Möglicherweise helfe die Schnabelgeste auch den Raben dabei, eine Beziehung zu einem zukünftigen Partner aufzubauen.
Zeigegeste erst nach Blickkontakt
Menschliche Kleinkinder nutzen hinweisende Gesten ab dem Alter von neun bis zwölf Monaten. Wenn sie sie einsetzen, schauen sie dafür zunächst ihr Gegenüber an. Bei Blickkontakt zeigen die Kinder dann auf ein Objekt oder halten dieses in der Hand zur Begutachtung hoch – „Schau mal!“
Der bisher überzeugendste Beleg für solche hinweisenden Gesten im Tierreich stamme von Schimpansen in Uganda, sagen die Forscher. Diese zeigen ihren Artgenossen wo sie gelaust werden möchten, indem sie sich an dieser Stelle kratzen. Diese Geste fordere ihren Artgenossen einerseits auf, etwas Konkretes zu tun, zum anderen lenke es die Aufmerksamkeit dieses Artgenossen auf die zu lausende Stelle, erklären Pika und ihr Kollege. Die Affen zeigten damit eine in der Evolution sehr seltene Form der Kommunikation.
Komplexität von Kommunikationssystemen anderer Tiergruppen ergründen
Dass diese Verhaltensweise auch bei anderen Tieren vorkomme, habe man nun belegt. „Gestenstudien haben sich viel zu lange nur auf Primaten beschränkt. Das Geheimnis um den Ursprung menschlicher Sprache kann aber nur gelöst werden, wenn wir über den Tellerrand hinausschauen und die Komplexität von Kommunikationssystemen anderer Tiergruppen mit einbeziehen und ergründen“, sagt Pika. (Nature Communications, 2011; doi: 10.1038/ncomms1567)
(Nature Communications / dapd, 30.11.2011 – NPO)