Einige schwerhörige Menschen können Vibrationen mit ihren Fingern sensibler erspüren als andere Menschen. Der Grund dafür ist eine erbliche Mutation, die nicht nur ihren Hörsinn verändert, sondern auch die Tastsinneszellen in ihren Fingern. Das berichtet ein internationales Forscherteam im Fachmagazin „Nature Neuroscience“.
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Die Entdeckung dieser Querverbindung liefere wertvolle Einblicke in die Funktionsweise des bisher nur wenig erforschten Tastsinns. „Jetzt haben wir zum ersten Mal ein menschliches Gen identifiziert, das die Eigenschaften des Tastsinns verändert“, sagt Studienleiter Thomas Jentsch vom Leibniz-Institut für Molekulare Pharmakologie (FMP).
Bekannt war dieses Gen bisher nur im Zusammenhang mit bestimmten Formen der erblichen Schwerhörigkeit. Bei diesen ist es durch eine Mutation verändert. Dadurch fehlt in den Wänden der für das Hören wichtigen Haarzellen im Ohr der sogenannte KCNQ4- Kanal, der normalerweise wie ein Ventil wirkt. Überschüssige Kaliumionen können daher nicht herausfließen und im Laufe der Zeit gehen die Haarzellen zugrunde.
KCNQ4 kommt auch in Sinneszellen der Haut vor
„Wir haben aber herausgefunden, dass KCNQ4 nicht nur im Ohr vorkommt, sondern auch in bestimmten Sinneszellen der Haut“, sagt Jentsch. „Das hat uns auf die Idee gebracht, dass die Mutation sich auch auf den Tastsinn auswirken könnte.“ Um das zu testen, prüften die Forscher, wie gut Patienten mit dieser Form der Schwerhörigkeit Vibrationen verschiedener Geschwindigkeiten und Stärke wahrnehmen können.
Tatsächlich erwiesen sich die tauben Patienten als eine Art Super-Fühler in Sachen Vibration, wie die Forscher berichten. Sie konnten auch sehr langsame Vibrationen fühlen, die ihre gesunden Geschwister noch gar nicht wahrnahmen. Offenbar lasse die Mutation die Tastsinneszellen nicht absterben, wie die Haarzellen im Ohr. Stattdessen verändere der fehlende Kaliumkanal die Feinabstimmung des Tastsinns und verändere so die Wahrnehmungsfähigkeit.
Zusammenspiel verschiedenster Tastzellen
Der Tastsinn des Menschen beruht auf einem komplexen System von Sinneszellen, Nerven und Signalen. „Die Haut hat mehrere unterschiedliche Typen von Mechanorezeptoren, die auf verschiedene Reizarten ansprechen, insbesondere auch auf verschiedene Frequenzbereiche“, erklärt Jentsch.
Das Zusammenspiel dieser verschiedenen Sinneszellen sei für den Tastsinn wichtig. Wie Instrumente in einem Orchester müssten die spezialisierten Zellen in der Haut gestimmt werden, sagt der Forscher. Durch diese Feinabstimmung könne der Mensch dann beispielsweise feststellen, ob eine Oberfläche rau oder glatt sei.
Die Mutation des Gens für den KCNQ4 verändere dieses Zusammenspiel. Es mache die Rezeptoren sensibler für langsame Schwingungen. Ob dafür möglicherweise Tastreize anderer Frequenzen schlechter wahrgenommen würden, müsse noch geklärt werden. (Nature Neuroscience, 2011; DOI: 10.1038/nn.2985)
(Nature Neuroscience / dapd, 21.11.2011 – NPO)