Die menschliche Zunge kann möglicherweise nicht nur fünf, sondern sogar sechs Geschmacksrichtungen unterscheiden. Erste Indizien dafür haben jetzt deutsche Wissenschaftler entdeckt. In den Geschmacksknospen der Zunge und im umliegenden Zungengewebe identifizierten sie einen bislang unbekannten Fettsensor. Der Rezeptor werde durch langkettige Fettsäuren aktiviert, berichten die Wissenschaftler im Fachmagazin „Chemical Senses“. Diese seien hauptsächlich für den typischen Fettgeschmack verantwortlich.
Bisher war man davon ausgegangen, dass der Mensch süß, salzig, sauer, bitter und umami schmecken kann. Der Umami-Geschmack beruht auf Bausteinen von Eiweißmolekülen wie Glutamat. Fett dagegen, so glaubte man, werde nur indirekt über Aromastoffe und die Beschaffenheit des Fetts wahrgenommen. Die aktuelle Studie belege nun jedoch, dass es auf der Zunge einen Rezeptor gebe, der Fett direkt wahrnehmen könne, sagen die Forscher. Ob dieser seine Signale auch an das Gehirn sende, müsse aber erst noch geprüft werden.
Die neuen Erkenntnisse bestätigten frühere Untersuchungen an Nagetieren. Diese hatten bereits Hinweise dafür geliefert, dass auch Geschmacksrezeptoren an der Wahrnehmung von Fett beteiligt sein könnten, sagen die Forscher um Maria Mercedes Galindo vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung.
“Künstliche Zunge“ gibt Hinweise auf Rezeptor-Funktion
In ihrer Studie analysierten die Forscher Geschmacksknospen der menschlichen Zunge. Dabei suchten sie gezielt nach dem bereits von den Nagetieren bekannten Rezeptorkandidaten GPR120 – und wurden fündig. Weiteren Aufschluss über die mögliche Funktion des neuentdeckten Sensors gaben Tests mit einer sogenannten „künstlichen Zunge“.
Mit diesem zellulären Testsystem könne man nach Angaben der Forscher im Labor untersuchen, ob ein Rezeptor von einer bestimmten Substanz aktiviert werde. Die Wissenschaftler stellten bei ihren Experimenten fest, dass GPR120 auf genau die langkettigen Fettsäuren reagierte, die auch bei Testpersonen einen typischen Fettgeschmack hervorrufen.
Noch kein Beweis für sechste Grundgeschmacksqualität
„Dies als Beweis für die Existenz einer sechsten Grundgeschmacksqualität ‚fettig‘ zu sehen, wäre aber sicher vorschnell“, meint Koautor Wolfgang Meyerhof vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung.
Hierfür müsse man erst nachweisen, dass das durch den Fettrezeptor ausgelöste Signal über spezialisierte Geschmackszellen und nachgeschaltete Nervenbahnen ans Gehirn weitergeleitet werde. Die Forscher wollen dies in weiteren Studien klären und so herausfinden, ob es tatsächlich eine sechste Grundgeschmacksqualität gibt oder nicht. (Chemical Senses, 2011; DOI: 10.1093/chemse/BJR069)
(Chemical Senses / Deutsches Institut für Ernährungsforschung / dapd, 26.08.2011 – DLO)