Ohne die Seefahrer und Entdecker des 15. Jahrhunderts gäbe es heute vermutlich weder Pils noch Bockbier. Denn für diesen Brauprozess wird Bierhefe benötigt, die schon bei niedrigen Temperaturen gärt. Diese entstand jedoch erst, als die seit Jahrhunderten in Europa zum Brotbacken und Bierbrauen genutzte Hefe Saccharomyces cerevisiae mit einer fremden Hefeart verschmolz. Woher letztere kam, hat erst jetzt ein internationales Forscherteam nach jahrelanger, weltweiter Suche herausgefunden.
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In Patagonien stießen die Wissenschaftler auf Buchengallen, die eine auch bei kühlen Temperaturen extrem aktive Hefe enthielten. Genetische Tests enthüllten erstaunliche Gemeinsamkeiten zwischen der neuentdeckten Hefe und den Genteilen der modernen Brauhefe, deren Herkunft bisher unbekannt waren. „Die Sequenz erwies sich als völlig verschieden von allen bekannten wilden Hefearten“, sagt Chris Todd Hittinger von der University of Wisconsin-Madison. Sie sei aber zu 99,5 Prozent identisch mit den „fremden“, nicht von der herkömmlichen Bierhefe stammenden Erbgutanteilen. Damit sei die neue Entdeckung eindeutig die Art, die einst mit Saccharomyces cerevisiae verschmolzen sei, berichten die Forscher im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“.
Die patagonische Hefe müsse im 15. Jahrhundert von nach Europa heimkehrenden Schiffen eingeschleppt worden sein – möglicherweise in Holzstücken oder sogar im Bauch von Fruchtfliegen, wie die Forscher vermuten. Im europäischen Freiland habe sich diese Art offenbar nicht halten können, wohl aber in den kühlen Kellern der damaligen Klosterbrauereien. Dort verschmolz sie mit der herkömmlichen Bierhefe. Erst mit dieser Fusion entstand die Hefeart Saccharomyces carlsbergensis, die schon bei niedrigen Temperaturen Zucker zu Alkohol vergären kann. Die Entdeckung des „Urvaters“ der Bierhefe eröffne möglicherweise auch Wege, die industriell genutzten Hefestämme weiter zu verbessern, schreiben die Forscher.
Neue Hefeart lebt in Rinde und Gallen von Bäumen
Die neue Hefeart, Saccharomyces eubayanus, lebt in ihrem Ursprungsgebiet in Patagonien offenbar in enger Gemeinschaft mit der Südbuche (Nothofagus), einem nur auf der Südhalbkugel vorkommenden Verwandten unserer heimischen Buchen.
Werden diese Bäume von einem bestimmten Pilz befallen, bilden sie rundliche Auswüchse, die Gallen. Diese enthalten besonders viel Zucker – und auch die neuentdeckten Hefen, berichten die Forscher.
„Die Hefe ist in diesen Gallen so aktiv, dass sie spontan fermentiert“, sagt Hittinger. Wenn die Gallen überreif sind, fallen sie zum Waldboden hinab. Dort bilden sie einen dicken Teppich, der intensiv nach Alkohol riecht. „Wahrscheinlich aufgrund der harten Arbeit unserer neuen Saccharomyces eubayanus“, wie Hittinger sagt.
Umschwung in der Braukunst kam im 15. Jahrhundert
Vor dem 15. Jahrhundert existierte nur Bier, das bei Temperaturen von 15 bis 20 Grad Celsius gebraut werden musste. Zu solchen obergärigen Sorten gehören heute noch Kölsch, Weißbier oder Ale. Vor rund 500 Jahren änderte sich dies: In Süddeutschland kultivierten Braumeister eine neue Hefesorte, die schon bei 4 bis 9°C gärte.
Erst mit dieser untergärigen Bierhefe wurden Biersorten wie Pils, Bockbier, Lager oder Export möglich. Sie machen mit 250 Milliarden US-Dollar weltweitem Jahresumsatz heute den Löwenanteil der Bierprodukte aus, wie die Forscher berichten. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2011; DOI: 10.1073/pnas.1105430108)
(Proceedings of the National Academy of Sciences / University of Wisconsin-Madison / dapd, 24.08.2011 – NPO)