Materialforschung

Elektrische Felder steuern Magnetismus

Forscher entwickeln neues multiferroisches Material

Prinzip des Probenaufbaus: oben die ferromagnetische Fe-Schicht, unten die ferroelektrische Bi-Ti-O Schicht, und dazwischen die multiferroische Schicht. Die drei Schichten sind durch ihre jeweiligen Hysteresen charakterisiert, d.h. ihre Zustandsänderung durch Einwirkung eines äußeren elektrischen Feldes (E) oder magnetischen Feldes (H): die Fe-Schicht durch eine ferromagnetische Hysterese, die Bi-Ti-O Schicht durch eine ferroelektrische Hysterese, und die multiferroische Zwischenschicht, die in gleicher Weise auf elektrische Felder und magnetische Felder reagiert. Der rote Pfeil deutet die Richtung des einfallenden Synchrotronstrahls an, der wahlweise rechts oder links zirkular polarisiert ist. © RUB

Ein internationales Forscherteam hat ein neues Material entwickelt, das erstmals auch bei Raumtemperatur magnetisch auf elektrische Felder reagiert. Bisher war dies überhaupt nur bei sehr tiefen, nicht praktikablen Temperaturen möglich. Elektrische Felder sind technisch viel einfacher und billiger herzustellen als magnetische Felder, für die man stromfressende Spulen benötigt. Die Wissenschaftler aus Deutschland und Frankreich berichten über ihre Ergebnisse ihrer hochpräzisen Experimente in der Fachzeitschrift „Nature Materials“.

Die erstaunliche Eigenschaft des neuen Materials konnten die Forscher in der von der Ruhr-Universität Bochum (RUB) gebauten Messkammer „ALICE“ am Berliner Elektronenspeicherring BESSY II nachweisen. Diese ist so benannt, weil sie wie „Alice im Wunderland“ hinter die Dinge schauen kann. Dabei wird ein bestimmter Bereich von Röntgenstrahlung genutzt, um magnetische Nanostrukturen zu untersuchen.

Mit den jetzt entdeckten Materialeigenschaften von BaTiO3 – Barium-Titan-Oxid – lassen sich zukünftig Bauelemente wie Datenspeicher und logische Schalter entwerfen, die mit elektrischen anstatt mit magnetischen Feldern kontrollierbar sind.

Ferromagnetische und ferroelektrische Eigenschaften

Ferromagnetische Materialien wie Eisen können durch magnetische Felder beeinflusst werden. Im Magnetfeld sind alle atomaren magnetischen Dipole ausgerichtet. In ferroelektrischen Materialien ersetzen elektrische Dipole – das sind zwei getrennte und entgegengesetzte Ladungen – die magnetischen Dipole, so dass man sie in einem elektrischen Feld ausrichten kann. In ganz seltenen Fällen reagieren so genannte „multiferroische“ Materialien auf beide Felder – magnetische und elektrische.

Multiferroisch bei Raumtemperatur

Ein solches multiferroisches Material stellten die Forscher her, indem sie ultradünne ferromagnetische Eisenschichten auf ferroelektrische Barium-Titan-Oxid-Schichten aufdampften. Dabei konnten sie feststellen, dass das sonst nicht magnetische ferroelektrische Material an der Grenzfläche zwischen den beiden Schichten ferromagnetisch wird. Damit haben die Forscher das weltweit erste multiferroische Material entwickelt, das bereits bei Raumtemperatur sowohl auf magnetische wie auf elektrische Felder reagiert.

Magnetische Röntgenstreuung wirft Licht auf neuen Steuermechanismus

Diesen Grenzflächenmagnetismus wiesen die Wissenschaftler mit Hilfe der spektroskopischen Methode „magnetischer Röntgendichroismus“ nach. Dabei wird die Polarisation der Röntgenstrahlen durch Magnetismus beeinflusst – ähnlich dem bekannten „Faraday-Effekt“ aus der Optik. Der magnetische Röntgendichroismus hat den Vorteil, dass er auf jedes einzelne Element in dem untersuchten Material angewandt werden kann.

Mit dieser Methode konnte das Forscherteam zeigen, dass alle drei Elemente in dem ferroelektrischen Material – Barium, Sauerstoff und Titan – an der Grenzfläche zu Eisen ferromagnetisch reagieren, obwohl diese Atome sonst nicht magnetisch sind.

Eine äußerst raffinierte Methode

„Die Methode des magnetischen Röntgendichroismus ist hoch komplex“, sagt der Experimentalphysiker Professor Hartmut Zabel von der RUB. Die Messkammer ALICE vereinigt Röntgenstreuung mit Röntgen-Spektroskopie. „Das ist eine äußerst raffinierte und sehr empfindliche Methode“, so Zabel weiter. „Die hohe Präzision der Detektoren sowie aller Goniometer in der Kammer führte zum Erfolg der Experimente des internationalen Messteams.“ (Nature Materials, 2011; DOI: 10.1038/NMAT3098)

(Ruhr-Universität Bochum, 23.08.2011 – DLO)

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