Geowissen

„Schwerekartoffel“ jetzt mit Jahreszeiten

Neuberechnung des Potsdamer Geoids zeigt zeitabhängige Variation der Erdanziehung

Der neue Geoid mit verbesserter Auflösung. Datenbasis: Satelliten LAGEOS, GRACE und GOCE und Oberflächendaten © GFZ Potsdam

Die „Schwerekartoffel“ der Erde kennt jetzt auch Jahreszeiten: Die bekannte Darstellung der irdischen Anziehungskraft als deformierter Globus wurde nun entscheidend weiterentwickelt: In das neue Modell des Erdschwerefeldes gehen jetzt auch zeitlich veränderlicher Schweregrößen wie die jahreszeitlichen Schwankungen des Wasserhaushalts der Kontinente oder abschmelzende oder zunehmende Eismassen mit ein. Das auf Messdaten der Satelliten LAGEOS, GRACE und GOCE beruhende Modell erlaubt damit auch Rückschlüsse auf klimarelevante Prozesse. Entwickelt wurde es von Wissenschaftlern des Deutschen GeoForschungsZentrums Potsdam GFZ gemeinsam mit Forschern aus Toulouse.

„EIGEN-6C“ nennt sich das neueste globale Schwerefeldmodell des Deutschen GeoForschungsZentrums GFZ. Gegenüber vorherigen Versionen der „Potsdamer Schwerekartoffel“, die die lokalen Unterschiede im Schwerefeld der Erde zeigt, erreicht das neue Modell eine vierfache Steigerung der Auflösung. Die Anziehungskraft der Erde lässt sich damit bis auf zwölf Kilometer genau bestimmen. Diesem neuen Schwerefeldmodell liegen Messungen der Satelliten LAGEOS, GRACE und GOCE zugrunde. Diese wurden mit Schweremessungen am Boden und Messwerten der Satelliten-Altimetrie kombiniert.

Satellit GOCE ermöglicht höhere Auflösung

„Von ganz besonderer Bedeutung ist die Einbeziehung von Messungen des Satelliten GOCE, aus denen das GFZ ein eigenes Schwerefeld berechnet hat“, sagt Christoph Förste, der zusammen mit seinem Kollegen Frank Flechtner die Schwerefeld-Arbeitsgruppe am GFZ leitet. Die ESA-Mission GOCE (Gravity Field and Steady-State Ocean Circulation Explorer) wurde Mitte März 2009 gestartet und vermisst das Schwerefeld der Erde seither mit dem Verfahren der Satellitengradiometrie.

„Dies ermöglicht die Vermessung der Schwerkraft in schwer zugänglichen Regionen mit bis dahin unerreichter Genauigkeit, zum Beispiel in Zentralafrika und im Himalaja“, ergänzt Flechtner. Aber auch die Vermessung des Erdschwerefeldes in den Weiten der Weltmeere lässt sich mit GOCE um ein Vielfaches genauer durchführen als mit vorangegangenen Satellitenmissionen wie dem GFZ-CHAMP und GRACE. Dies gestattet unter anderem eine genauere Bestimmung der so genannten dynamischen Meerestopographie, das heißt der Abweichung der Meeresoberfläche vom Gleichgewicht gegenüber der Schwerkraft. Diese Meerestopographie wird ganz wesentlich von Meeresströmungen bestimmt. Deshalb sind die mit GOCE-Messungen berechneten Schwerefeldmodelle von großem Interesse für die Ozeanographie und die Klimaforschung.

Vor allem zwischen 32 und 38 Grad nördlicher Breite ist die Absenkung der US-Ostküste größer als nur durch geologische Prozesse (grün) erklärbar. Auch die Nuisance Floodings (rot) haben hier deutlich zugenommen. © Karegar et al./ Scientific Reports, CC-by-sa 4.0

GRACE-Satelliten erfassen großräumige zeitliche Veränderungen

Neben GOCE wurden im neuen EIGEN-6C auch langjährige Messdaten der Doppelsatelliten-Mission GRACE (Gravity Recovery and Climate Experiment) des GFZ einbezogen. GRACE ermöglicht die Bestimmung großräumiger zeitlicher Veränderungen im Schwerefeld, die etwa durch klimabedingte Massenumlagerungen auf der Erdoberfläche verursacht werden. Dazu gehören das Abschmelzen großer Gletscher in den Polargebieten und die jahreszeitlichen Schwankungen der in großen Flusssystemen gespeicherten Wassermengen. Mit GRACE bestimmte zeitliche Schwereänderungen sind im EIGEN-6C Modell enthalten. Deshalb ist die neue Potsdamer Kartoffel zum ersten Mal kein fester Körper mehr, sondern eine sich zeitlich ändernde Fläche.

Gerade um diese klimarelevanten Prozesse langzeitig erfassen zu können, ist eine Folgemission für die etwa 2015 endende GRACE-Mission dringend erforderlich. Ein Vergleich der verschiedenen „Potsdamer Kartoffeln“ seit 1995 zeigt die Qualitätssprünge deutlich.

(Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ, 30.06.2011 – NPO)

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