Medizin

Diabetes: Mechanismus der Insulin-Resistenz entdeckt

Zwei Mikro-RNAs setzen Insulin-Rezeptoren in Leber und Fettzellen außer Kraft

Insulin © CDC

Diabetespatienten, darunter vor allem Übergewichtige, leiden oft an einer Fehlfunktion ihrer Insulin-Rezeptoren in Leber und Fettzellen. Dadurch kommt das Signal zum Abbau des Blutzuckers nicht mehr an. Jetzt haben Forscher herausgefunden, was die Rezeptoren außer Kraft setzt – und auch, wie sich dies beheben lassen könnte. Wie sie jetzt in „Nature“ berichten, sind zwei kleine RNA-Schnipsel schuld.

Auf Leber- und Fettzellen sitzen Sensoren, die empfindlich sind für den Botenstoff Insulin. Sobald Insulin an die Sensoren andockt, beginnen die Zellen Glukose aufzunehmen und einzulagern. Nicht so bei fettleibigen Personen: Ihre Zellen reagieren auf das Insulinsignal nicht mehr. Das hat verheerende Folgen. Denn die Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse, die das Insulin produzieren, stoßen gerade weil die Fett- und Leberzellen das Signal nicht wahrnehmen, immer mehr davon aus – bis zu ihrem „Burn out“. Die Folge ist Diabetes mit unkontrolliertem Blutzuckerspiegel, da die Glukose nicht mehr in Zellen und Leber eingelagert werden kann.

Zwei Mikro-RNAs als „Täter“ identifiziert

Eine Forschungsgruppe der ETH Zürich um Markus Stoffel hat nun herausgefunden, weshalb das Insulinsignal nicht mehr registriert wird. Bei fettleibigen Mäusen identifizierten die Wissenschaftler zwei kurze RNA-Stücke, die hier eine entscheidende Rolle spielen: miRNA 103 und miRNA107. Sowohl bei fettleibigen Mäusen wie auch bei Menschen kommen von diesen Mikro-RNAs unzählig viele Kopien vor. Je höher der Pegel von miRNA 103 und 107 ist, desto resistenter reagieren Leber und Fettgewebe auf Insulin. Der Grund dafür: Die beiden RNA-Moleküle blockieren ein Gen, das den Bauplan für Caveolin1 darstellt. Dieses Protein sitzt auf kleinen, in die Zelle hinein gestülpten Bläschen, den Caveolae, welche an den Insulin-Sensor gekoppelt sind und die Signalwirkung von Insulin einleiten. Der Insulin-Sensor ist unter anderem dafür zuständig, die Aufnahme von Glukose in die Zelle zu vermitteln. Zirkulieren zu viele miRNA-Kopien, funktioniert dieser Vorgang nicht mehr.

Gegenspieler der Mikro-RNAs gespritzt

Aufgrund früherer Erfahrungen konnten die Forscher die fraglichen miRNAs aber gezielt ausschalten, indem sie den Mäusen ihre Gegenspieler, so genannte Antagomire, spritzten. Diese koppeln sich hochspezifisch an die miRNAs an und ziehen sie dadurch aus dem Verkehr. Antagomire passen auf die miRNAs wie Schlüssel ins Schloss. Damit der Körper die Antagomire nicht innerhalb von Minuten abbaut, müssen die Forscher diese mit anderen Molekülen so verändern, dass sie stabil bleiben und in Zellen aufgenommen werden, im Fall der Antagomire von miRNA 103 und 107 mit einem Fettmolekül. Dann allerdings wirken sie effizient, rasch und verbleiben lange im Körper. Einmal gespritzt, können sie mehrere Wochen wirksam sein.

Antagomire machen Leber wieder empfänglich

In Mäusen, bei denen die beiden miRNAs so ausgeschaltet wurden, wurden die Leberzellen innerhalb kurzer Zeit wieder empfänglich für Insulin. Die Glukose-Aufnahme stieg an. Parallel dazu nahm der Fettgehalt der Fettzellen ab. Letzteres ist durch eine erhöhte Fettverbrennung zu erklären. Weil die Zellen wieder auf Insulin reagieren, werden die Beta- Zellen entlastet, sodass sie die Insulin-Produktion herunterfahren können. Am besten reagierten Fettzellen auf das Ausschalten der miRNAs. In den Leberzellen war der Effekt eher gering. Das hat damit zu tun, dassCaveolin1 auf den Bläschen der Fettzellen sehr häufig vorkommt, bei Leberzellen hingegen seltener.

Für Markus Stoffel ist diese Entdeckung ein Hoffnungsschimmer im Kampf gegen Diabetes. «Zuckerkranke Menschen mit Antagomiren zu therapieren wäre ein vollkommen neuer Ansatz», sagt er. Das System funktioniert nämlich auch bei Mäusen, die bereits Diabetes haben. Bis ein Medikament auf der Basis von Antagomiren auf den Markt kommt, dürfte aber noch viel Zeit vergehen. Die Entwicklung müsste von einer Pharmafirma vorangetrieben werden. (Nature, 2011; DOI:10.1038/nature10112)

(ETH Zürich, 10.06.2011 – NPO)

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