Die jetzt abgeschlossene Genomsequenzierung des aktuellen EHEC-Erregers HUSEC041 (O104:H4) zeigt, dass es sich dabei nicht um einen völlig neuen Typ, sondern um einen so genannten Hybrid-Klon handelt. Der Stamm vereint Eigenschaften unterschiedlicher Erreger und hat daher sowohl eine höhere Resistenz gegen Antibiotika als auch eine etwas stärkere zellschädigende Wirkung auf Nierenzellen. Unterdessen hat auch die Bevölkerung auf die Epidemie reagiert, wie eine aktuelle Umfrage zeigt: Jeder zweite stellt seine Ernährung um und meidet potenziell verseuchtes Gemüse.
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EHEC (entero-hämorrhagische Escherichia coli) sind seit zirka 30 Jahren bekannt für mitunter schwer verlaufende Darmerkrankungen. Während der aktuellen Welle von EHEC-Infektionen sind dem Robert-Koch-Institut bisher rund 2.000 Fälle übermittelt worden. 17 Menschen starben am hämolytisch-urämischen Syndrom, das durch den EHEC-Erreger ausgelöst werden kann. In Hamburg, dem am stärksten betroffenen Bundesland, sind bislang 669 Fälle gemeldet, 110 Menschen werden in Kliniken wegen lebensgefährlicher Komplikationen. Die im tierischen Organismus natürlich vorkommenden Darm-Bakterien können beim Menschen Blutzellen zerstören und die Nierenfunktion schädigen.
Genom entschlüsselt
Seit dem 2. Juni liegt nun den Wissenschaftlern des Universitätsklinikums Münster (UKM) eine wesentliche Voraussetzung für die Bekämpfung der Epidemie und eine bessere Kenntnis des Erregers und seiner Wirkung vor: Sie entschlüsselten das Genom des aktuell kursierenden EHEC-Stammes. Dabei zeigte sich, dass es sich nicht um einen neuen Typ, sondern um eine Hybrid bereits bekannter Stämme handelt. Die neuen Eigenschaften des Ausbruchserregers entsprechen Charakteristika, die sowohl in enteroaggregativen E. coli (EAEC) als auch in enterohämorrhagischen E. coli (EHEC) und in extraintestinalen E. coli auftreten.
Kreuzung bereits bekannter Stämme
„Unsere bisherigen Untersuchungen wurden damit untermauert: Es handelt sich bei dem Ausbruchsstamm um einen Hybrid-Klon, der Virulenzeigenschaften unterschiedlicher Erreger vereint“, erklärt Helge Karch, Direktor des Instituts für Hygiene am UKM. Diese Eigenschaften sind aber bereits im Referenzstamm aus 2001 enthalten. Meldungen, wonach es sich bei dem aktuellen Erreger um einen völlig neuen Typ handele, seien nicht zutreffend, so Karch.
„HUSEC041 (O104:H4) ist der bestätigte Ausbruchsstamm. Wir haben die in Münster erhobenen Ergebnisse der H-Antigen kodierenden Gene (flicH4) und des Sequenztyps ST 678 bereits am 26. Mai 2011 gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen vom RKI und anderen Wissenschaftlern veröffentlicht. Mittlerweile haben wir unsere Ergebnisse an mehr als 60 HUS- Patientenisolaten bestätigt. Stämme, die zu HUSEC041 gehören sind nicht neu, sondern auch schon früher aufgetreten. Allerdings sind sie extrem selten und zwar weltweit.“
Stärker zellschädigend und resistenter
Der aktuelle Ausbruchsstamm zeigt das gleiche Verhalten (sogenannte aggregative Adhärenz) bei der Anheftung an die Zellen der Darmwand wie sein Vorgänger aus 2001. Zudem zeigt er die gleichen Rezeptorbindungseigenschaften. „Das hat unser Stammvergleich gezeigt“, so Karch. Hinzugekommen ist ein erweitertes Antibiotikaresistenzspektrum. „Außerdem zeigt er eine etwas stärkere zellschädigende Wirkung auf Nierenzellen. Im Vergleich zu anderen HUSEC-Typen ist diese Toxizität allerdings nicht außergewöhnlich hoch“, erklärt Karch. „Wir hoffen nun, anhand der Daten herauszufinden, warum sich der aktuelle Ausbruchserreger so schnell und aggressiv ausbreitet. Das ist die Aufgabe der kommenden Tage.“
Deutsche haben Ernährung umgestellt
Unterdessen hat auch die Bevölkerung auf die Epidemie reagiert: Jeder zweite Deutsche stellt seine Ernährung um, wie eine Forsa-Umfrage im Auftrag des Wissenschaftsjahres Gesundheitsforschung ergeben hat. Vor dem Hintergrund der aktuellen EHEC-Welle herrscht Pragmatismus statt Panik – die Deutschen lassen sich nicht beunruhigen, aber ändern ihr Essverhalten. Fast alle haben von dem gefährlichen Bakterium EHEC gehört, große Sorgen um seine Gesundheit macht sich allerdings nur ein geringerer Anteil der Deutschen.
40 Prozent sind wenig und 34 Prozent fast gar nicht besorgt. Das liegt auch daran, dass sich rund Dreiviertel der Befragten als gut informiert betrachten. 59 Prozent der Frauen und 41 Prozent der Männer gaben an, aufgrund der aktuellen Situation ihre Ernährung umgestellt zu haben. So meiden sie vorsorglich den Verzehr roher Tomaten, Salatgurken und Blattsalaten. 27 Prozent der Befragten ergreifen verstärkte Hygiene-Maßnahmen und achten besonders darauf, die Hände oft und gründlich zu reinigen.
„Da die Infektionsquelle nach jüngster Datenlage noch aktiv sein kann, sind vorbeugende Maßnahmen immer noch der beste Schutz. Die Bevölkerung über diese zu informieren, ist notwendig und unerlässlich, um Schlimmeres zu verhindern. Der aktuelle Fall zeigt ja, wie viel mehr wir durch mikrobielle Kontaminationen als durch so genannte Schadstoffe bedroht sind“, erklärt Hans-Georg Joost, wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke.
(Universitätsklinikum Münster, Deutsches Institut für Ernährungsforschung, Wissenschaftsjahr Gesundheit, 03.06.2011 – NPO)