Wenn Kindern und Jugendlichen der Blinddarm und die Mandeln entfernt werden, erhöht dies ihr Risiko, später an einem vorzeitigen Herzinfarkt zu erkranken. Das zeigt eine an mehreren zehntausend Teilnehmern in Schweden durchgeführte Studie. Demnach wird das Risiko durch eine Mandelentfernung um 44 Prozent und durch eine Blinddarmoperation um 33 Prozent erhöht. Ursache dafür ist wahrscheinlich eine Beeinflussung des Immunsystems durch die fehlenden Organe, so die Forscher im „European Heart Journal“.
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Blinddarm und die Mandeln sind lymphatische Organe und gehören damit zum Immunsystem des Körpers, wenngleich sie darin keine entscheidende Funktion erfüllen. Verschiedenen Studien zufolge werden bei zehn bis 20 Prozent aller Kinder und Jugendlichen die Mandeln oder der Blinddarm entfernt. Die häufigsten Gründe dafür sind Entzündungen. Bereits seit längerem ist bekannt, dass die Entfernung der beiden Organe mit moderaten Langzeitfolgen für das Immunsystem sowie einem veränderten Risiko für Autoimmunerkrankungen verbunden ist.
Im Rahmen einer jetzt in der Online-Fachzeitschrift „European Heart Journal“ veröffentlichten Studie hat ein internationales Forscherteam die nationalen Gesundheitsdaten aller zwischen 1955 und 1970 geborenen schwedischen Staatsbürger verglichen, denen die Mandeln und/oder der Blinddarm vor dem 20. Lebensjahr entfernt wurden. Für jeden dieser mehrere zehntausend Fälle wurden per Zufallsprinzip fünf Kontrollpersonen ausgewählt, bei denen keine Mandel- oder Blinddarmoperation durchgeführt worden war. Die Wissenschaftler verfolgten die Gesundheitsdaten der Teilnehmer über einen Zeitraum von durchschnittlich 23,5 Jahren, um das Auftreten von Herzinfarkten mit tödlichem oder nicht-tödlichem Ausgang (akute Myokardinfarkte) zu überprüfen.
Infarkt-Risiko um bis zu 44 Prozent höher
Die Ergebnisse zeigten bei diesen Teilnehmern ein höheres Auftreten von akuten Myokardinfarkten als bei der Kontrollgruppe. 89 Teilnehmer mit einer Blinddarmoperation und 47 Teilnehmer mit einer Mandelentfernung erlitten innerhalb des Beobachtungszeitraums einen akuten Myokardinfarkt. Im Vergleich zur Kontrollgruppe bedeutet dies eine Erhöhung des Risikos durch eine Mandelentfernung um 44 Prozent (Hazard-Ratio 1,44) und durch eine Blinddarmoperation um 33 Prozent (Hazard-Ratio 1,33).
„Angesichts der zahlreichen biologischen und epidemiologischen Belege für den Zusammenhang zwischen Entzündungen und koronaren Herzkrankheiten (KHK) lag es natürlich nahe, dass die operative Entfernung der Mandeln oder des Blinddarms aufgrund ihrer Auswirkung auf das Immunsystem langfristige Folgen im Hinblick auf koronare Herzkrankheiten hat“, so Imre Janszky von der Abteilung für Gesundheit und Wissenschaft des Karolinska Institute in Stockholm. „Allerdings gab es bisher keine Studie zu den potenziellen Auswirkungen einer Mandel- oder Blinddarmentfernung auf das Risiko von Arteriosklerose oder koronarer Herzkrankheiten.“
Noch wenig Erkenntnisse über Langzeitfolgen bei älteren
Janszky, der Erstautor der Studie, betont, dass die absolute Zahl von akuten Myokardinfarkten in der Studie mit insgesamt nur knapp über 400 bzw. 200 Fällen in mehr als 7,5 Millionen bzw. 4 Millionen Personenjahren gering ist. „Wie aufgrund des jungen Alters der Teilnehmer zu erwarten war, entsprach die beobachtete moderate relative Risikoerhöhung einer sehr kleinen Erhöhung des absoluten Risikos“, erklärt Janszky. Die Forscher weisen darauf hin, dass die Studie zwar eine große Anzahl von Teilnehmern umfasste, diese jedoch alle in ihrer Kindheit operiert wurden und daher am Ende des Beobachtungszeitraums noch relativ jung waren. „Daher können wir keine Rückschlüsse auf das Auftreten von akuten Myokardinfarkten bei älteren Männern und Frauen ziehen, bei denen das Risiko am höchsten ist“, so die Forscher.
Langfristige Auswirkungen auf Immunsystem vermutet
Bei der Auswertung der Ergebnisse deuten die Autoren der Studie einige „komplexe“ langfristige Auswirkungen auf das Immunsystem an. Da es sich bei Blinddarm und Mandeln um sekundäre lymphatische Organe handelt, kann ihre Entfernung verschiedene Aspekte des Immunsystems beeinträchtigen, unter anderem die Produktion von Immunglobulinen. Des Weiteren weisen die Forscher darauf hin, dass Arteriosklerose, die Pathophysiologie von akuten Myokardinfarkten, weithin als Entzündungsprozess eingestuft wird.
„Auf der Grundlage unserer derzeitigen Erkenntnisse bezüglich des komplexen Zusammenhangs zwischen Arteriosklerose und Immunsystem sind die Studienergebnisse biologisch plausibel“, bestätigt Janszky. „Es gibt außerdem bereits erste Belege dafür, dass auch die Entfernung der Milz (ein weiteres sekundäres lymphatisches Organ) zu Arteriosklerose und einem erhöhten kardiovaskulären Risiko führen kann.“ (European Heart Journal, 2011; doi:10.1093/eurheartj/ehr137)
(European Society of Cardiology (ESC), 03.06.2011 – NPO)