Geowissen

Klima vertrieb Wikinger früher aus Grönland

Wissenschaftler entdecken Hinweise auf lokale Kältewelle noch vor der „kleinen Eiszeit“

Kulturen in Grönland in den Jahren 900, 1100, 1300 und 1500. Die Wikinger (rot) besiedelten die Küsten zwischen 980 und etwa 1350. © Masae/ CC-by-sa 3.0

Bisher galt die „kleine Eiszeit“, eine Kältephase vor gut 500 Jahren, als Auslöser für den Niedergang der Wikinger-Siedlungen in Grönland. Doch die Auswertung von Klimadaten aus Seesedimenten an der grönländischen Westküste enthüllt nun eine weitere, lokale Kälteperiode, die bereits im Jahr 1100 begann. Sie könnte die meisten der sesshaften Bauern bereits viel früher in die Flucht getrieben haben, wie Forscher jetzt in den „Proceedings of the National Academy of Sciences“ berichten.

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Die Wikinger erreichten auf ihren langen Seereisen bereits vor mehr als tausend Jahren als erste Europäer Grönland. Ihre Ankunft an der grönländischen Westküste im Jahr 980 fiel mit einer relativ milden Klimaperiode zusammen, so dass sie sich dort niederließen und eine Reihe von Siedlungen gründeten. Mitte des 14. Jahrhunderts jedoch begannen sie diese Siedlungen eine nach der anderen wieder aufzugeben, das zeigen archäologische Ausgrabungen. Als Ursache gilt ein Einbruch der Temperaturen auf der Nordhalbkugel zu dieser Zeit, die so genannte “kleine Eiszeit”. Doch möglicherweise war zu diesem Zeitpunkt der Exodus der Nordmänner bereits in vollem Gange.

Niedergang der Wikinger-Siedlungen begann bereits früher

Denn Wissenschaftler der amerikanischen Brown-Universität haben jetzt Hinweise darauf entdeckt, dass das Klima auf Grönland bereits einige Jahrzehnte vor Beginn der kleinen Eiszeit eine deutliche Kältewelle erlebte. Für ihre Studie analysierten die Forscher Bohrkerne aus dem Seesediment zweier Seen nahe des Ortes Kangerlussuaq an der grönländischen Westküste.

Im Gegensatz zu den bei Klimarekonstruktionen oft gebräuchlichen Eisbohrkernen, die im hunderte von Kilometer entfernten Inneren Grönlands geborgen werden, spiegeln die unmittelbar in der Nähe der früheren Wikingersiedlung gewonnen Bohrkerne das lokale Klima sehr viel genauer wieder. „Dies ist die erste quantitative Temperatur-Rekonstruktion des Gebiets, in dem die Wikinger lebten”, erklärt William D’Andrea von der Brown Universität.

Lokaler Kälteeinbruch schon ab dem Jahr 1100

Die Ergebnisse zeigen, dass bereits um das Jahr 1100 eine Kälteperiode an der Westküste begann, in der 80 Jahre lang die Temperaturen um vier Grad niedriger lagen als zuvor. Das erscheint auf den ersten Blick nicht viel, doch für die sesshaften Ackerbauern und Viehzüchter könnten vor allem die niedrigeren Sommertemperaturen empfindliche Ernteausfälle ausgelöst haben. Zudem bildete sich an der Küste mehr und länger anhaltendes Meereis, dass die Zufahrt per Schiff und damit den Nahrungsmittelnachschub über das Meer zusätzlich blockierte.

„Man hat erst eine Zeit, in der die Sommer lang und mild sind und folglich erhöht man die Größe seiner Farm“, malt D’Andrea das Szenario aus. „Dann aber plötzlich erlebt man Jahr für Jahr eine Abkühlung. Die Sommer werden kürzer und kälter und man kann nicht so viel Heu machen. Man kann sich vorstellen, dass sich dieser Lebensstil unter diesen Umständen nicht halten kann.“ Zwar betont der Forscher, dass das Klima sicher nicht allein für den Niedergang der Wikinger-Siedlungen verantwortlich war. Auch der sesshafte Lebensstil und die Abhängigkeit von der Landwirtschaft, dem Handel mit Skandinavien und Kämpfe mit den benachbarten Inuit trugen sicherlich dazu bei. Dennoch scheinen die Klima-Abkühlung und vor allem ihr Tempo eine wichtige Rolle gespielt zu haben.

Schneller Klimawandel als wichtiger Auslöser

„Die Daten zeigen, wie schnell sich die Temperatur in der Region änderte und wie stark“, kommentiert der Geologe Yongsong Huang von der Brown Universität. „Es ist interessant festzustellen, wie ein schneller Klimawandel Gesellschaften in der Vergangenheit beeinflusste – vor allem in Anbetracht des heute stattfindenden, ebenfalls sehr schnellen Klimawandels.”

Die Daten bestätigen auch, dass sich die Klimaentwicklung an der Westküste Grönlands auch in der Vergangenheit von der des restlichen Nordatlantiks und Europas unterschied. Denn der lokale Kälteeinbruch ereignete sich während einer so genannten positiven Phase der Nordatlantik-Oszillation (NOA). Bei dieser für Europa eher milden Klimasituation ist die Druckdifferenz zwischen dem Azorenhoch und dem Island-Tief stark ausgeprägt. Für die Westküste Grönlands jedoch bedeutete dies, dass mehr polare Kaltluft von Norden hereinfloss und als Folge die Temperaturen sanken.

Klimabedingte „Wachablösung” auch bei Inuit-Völkern

Wie sehr das Klima regionale Kulturen schon immer beeinflusst hat, zeigen auch Parallelen zwischen den Klimadaten für weiter zurückliegender Epochen und der Besiedlungsgeschichte: Das Inuitvolk der Saqqaq begann etwa um das Jahr 2.500 vor Christus die grönländische Westküste zu besiedeln und überdauerte hier auch einige Wechsel von wärmeren und kälteren Phasen, wie die Klimadaten jetzt belegen. Doch ab dem Jahr 850 vor Christus wendete sich das Blatt und die Temperaturen sanken deutlich ab.

„Um diese Zeit gab es einen größeren Klimawandel“, erklärt D’Andrea. „Es scheint, als wenn in diesem Falle nicht so sehr die Geschwindigkeit der Veränderung als vielmehr die Amplitude der Abkühlung das Entscheidende war. Es wurde viel kälter.“ Die Saqqaq zogen sich um diese Zeit zurück und verschwanden aus der Region. Nahezu zur gleichen Zeit wanderte dafür eine andere Volksgruppe ein, die so genannten Dorset-Menschen. Sie waren besser an die geänderten Bedingungen angepasst, weil sie unter anderem daran gewöhnt waren, ihre Nahrungstiere vom dann reichlich vorhandenen Meereis aus zu erjagen. (PNAS, 2011, DOI: 10.1073/pnas.1101708108)

(Brown University, 31.05.2011 – NPO)

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