Hunde laufen anders als gedacht: Dreh- und Angelpunkt ist demnach das Schulterblatt, nicht das Schultergelenk, wie oft in Lehrbüchern zu sehen. Das zeigt jetzt eine Studie deutscher Forscher. Sie stellten auch fest, dass die Proportionen der Vorderbeine und der Bewegungsablauf bei allen Hunderassen gleich bleiben – ob Dogge oder Dackel.
Wie läuft ein Hund? Auf diese zunächst einfach klingende Frage eine fundierte Antwort zu geben, war selbst für Fachleute bisher nahezu unmöglich. „Wir wussten es einfach nicht“, erklärt Martin Fischer. Professor für Spezielle Zoologie und Evolutionsbiologie an der Universität Jena. Ein Hund bewegt sich auf vier Beinen, im Schritt, Trab oder Galopp. Doch die exakten Abläufe innerhalb des Bewegungsapparates konnten selbst der Jenaer Zoologe und seine Fachkollegen bislang bestenfalls vermuten. „Bisherige wissenschaftliche Studien beschränkten sich überwiegend auf die Fortbewegung kranker Tiere oder auf einzelne Aspekte der Fortbewegung“, so Fischer. Um dies zu ändern, haben er und sein Team 2006 eine umfassende Untersuchung zur Bewegung von gesunden Hunden gestartet und jetzt deren Ergebnisse vorgelegt.
Gangarten mit Hochgeschwindigkeitskameras vermessen
Mit enormem technischen Aufwand haben die Forscher die Bewegungsabläufe von 327 Hunden aus 32 Hunderassen vermessen, dokumentiert und verglichen. So wurden die Tiere in verschiedenen Gangarten zunächst von zwei Hochgeschwindigkeitskameras jeweils von vorn und von der Seite gefilmt. „Zusätzlich haben wir die Bewegungen dreidimensional analysiert“, erläutert Karin Lilje. Dafür hat die Zoologin den Tieren reflektierende Marker auf die Haut geklebt und ihre Bewegungen mit Infrarot-Kameras gefilmt. Diese senden kurze Blitze aus und registrieren deren Reflexionen. Bis zu 1.000 Aufnahmen pro Sekunde gingen anschließend in die Analysen ein.
„Da die Reflexionen der Markerpunkte jeweils von mehreren Kameras aufgezeichnet wurden, konnten wir aus den Daten die jeweilige Lage der Marker im Raum berechnen“, so Lilje. Außerdem wurden die Bewegungen der Hunde mit einer Hochgeschwindigkeits-Röntgenvideoanlage aufgezeichnet. „Durch die Kombination dieser drei Methoden liegen uns nun Daten zur Fortbewegung von Hunden in bisher nicht gekannter Genauigkeit vor“, erklärt Fischer.
Lehrbuchabbildungen oft falsch
Wie lückenhaft und in wesentlichen Aspekten rundweg falsch das Wissen über den Bewegungsapparat der Hunde bis dato war, zeigen zahlreiche Skelettdarstellungen und -präparate von Hunden, wie sie in vielen Lehrbüchern und Museen bis heute zu sehen sind: Diese positionieren Hüft- und Schultergelenk der Tiere auf gleicher Höhe. „Dies setzt aber voraus, dass sich diese beiden Gelenke entsprechen und die Drehpunkte bei der Bewegung sind – ein Irrtum, wie wir jetzt anhand unserer Analysen nachweisen können“, macht Fischer deutlich.
Demnach haben sich im Laufe der Evolution aus den – zunächst aus je zwei Segmenten bestehenden – Beinen Gliedmaßen mit je drei Segmenten entwickelt. „So kommt bei den Vorderbeinen das Schulterblatt als körpernahes Segment hinzu. Während bei den Hinterbeinen der Mittelfuß umgebaut wurde“, so Evolutionsbiologe Fischer. Das hat zur Folge, dass sich nun nicht mehr Oberschenkel und Oberarm beziehungsweise Unterschenkel und Unterarm in ihrer Bewegung entsprechen, sondern Schulterblatt und Oberschenkel, Oberarm und Unterschenkel und Unterarm und Mittelfuß.
Der Drehpunkt der Vorderbeine ist das Schulterblatt, das nur über die Muskulatur mit dem Skelett verbunden ist. Das eigentliche Schultergelenk bleibt bei der Fortbewegung der Hunde dagegen nahezu unbeweglich. „Diese Erkenntnisse werden die akademische Lehre verändern“, ist Fischer überzeugt.
Proportionen der Vorderbeine bei allen Rassen gleich
Eine weitere überraschende Erkenntnis liefert die Jenaer Studie zur Hundefortbewegung hinsichtlich der Proportionen der Vorderbeine der untersuchten Hunderassen. Diese erwiesen sich bei allen Rassen als nahezu identisch. „Zwar ist klar, dass etwa der Oberarm eines Schnauzers kürzer ist als der einer Dogge“, so Fischer. Bezogen auf die Gesamtlänge des Vorderbeines beträgt dessen Länge aber immer exakt 27 Prozent. Die relative Länge des Schulterblattes variiert dagegen zwischen 24 und 34 Prozent. „Bei kurzbeinigen Hunden ist das Schulterblatt relativ lang, bei Windhunden relativ kurz. Aber der Oberarm bleibt immer gleich lang.“
Dem „Röntgenblick“ verdanken die Zoologen außerdem die Entdeckung, dass sich Schulterblatt und Unterarm bzw. Oberschenkel und Mittelfuß parallel – wie gekoppelt – bewegen. „Steht etwa der Unterarm vertikal, dann tut das auch das Schulterblatt“, erläutert der Jenaer Wissenschaftler. Dieses
Prinzip eines „Pantographenbeines“ sei in seinem Bewegungsablauf hochgradig von der Länge des dazwischenliegenden Segmentes abhängig. „Und das ist der Oberarm, der bei allen Hunden exakt gleich lang ist.“ Daraus lasse sich schlussfolgern, dass alle Hunde, egal ob zwei oder 80 Kilogramm schwer, sehr ähnlich laufen.
(Universität Jena, 30.05.2011 – NPO)