Millionen Menschen leiden an Autoimmunkrankheiten wie Rheuma oder Diabetes: Das Verteidigungssystem des Körpers schlägt Fehlalarm und greift eigene Zellen an. Die Ursachen für solche Überreaktionen sind vielfältig und bis heute noch nicht vollständig verstanden. Forscher haben nun jedoch herausgefunden: Das Molekül CCR6, das auf der Oberfläche von Immunzellen sitzt und diese an ihren Einsatzort leitet, wird „nach Bedarf“ gebildet.
{1r}
Das zuständige Gen wird aktiviert, indem die Zelle eine chemische Markierung entfernt, die das Gen normalerweise still legt. Die Erkenntnisse sind ein weiteres Puzzleteil im Verständnis von Autoimmunerkrankungen und könnten für künftige Therapiekonzepte von Bedeutung sein, berichten die Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI), der Berliner Charité und der Firma Epiontis in der Fachzeitschrift „Blood“.
Chemie sorgt für Kommunikation
Zellen kommunizieren mit Hilfe chemischer Botschaften. Die Botenstoffe binden an Rezeptoren auf der Oberfläche der Zellen und können dadurch eine Vielzahl an Reaktionen auslösen. Der Rezeptor CCR6 beispielsweise ist dafür verantwortlich, T-Zellen – eine bestimmte Klasse von Immunzellen – an Entzündungsherde zu leiten.
Die Wissenschaftler fanden nun in ihrer neuen Studie heraus, dass bestimmte Abschnitte in der Erbinformation für CCR6 chemisch modifiziert sind: Hängen so genannte Methylgruppen an der DNA, dann bilden die Zellen kein CCR6. Ist der Abschnitt hingegen frei, zeigen die Zellen CCR6 dauerhaft auf ihrer Oberfläche. Wenn die Immunzelle ein entsprechendes molekulares Signal empfängt, wird die Markierung den Forschern zufolge auf den still gelegten Genen entfernt – und sie werden aktiv.
Zyklus von Methylierung und De-Methylierung
Der Zyklus von Methylierung und De-Methylierung ist eine seit langem bekannte chemische Veränderung der DNA, die eine Inaktivierung und Re- Aktivierung einer Genregion zur Folge hat. Hierbei wird die DNA-Sequenz – also die Abfolge der vier Hauptbausteine der Erbsubstanz – zwar nicht verändert, aber die Aktivität des betreffenden Gen-Abschnitts gesteuert.
„Das Entfernen der Methylgruppen an der DNA wirkt auf die Zellen wie eine Art Turbo, mit dem sie die dauerhafte Bildung von CCR6 einleiten“, sagt Stefan Flöß, der die Untersuchungen am Braunschweiger HZI vorgenommen hat. Wenn das Immunsystem aber bei der falschen Zelle Gas gebe, könne dies für das Immunsystem fatale Auswirkungen haben. „Das Gleichgewicht von entzündungsfördernden Zellen und solchen, die das Immunsystem beruhigen, ist bei Autoimmunerkrankungen gestört – und eine Fehlsteuerung von CCR6 spielt dabei möglicherweise eine wichtige Rolle“, so Flöß.
„Das Wissen über die Regulation von CCR6 könnte in Zukunft helfen, die Diagnostik von Autoimmunerkrankungen zu verbessern“, sagt Flöß. „Im Blut von Patienten ließe sich dann untersuchen, ob die An- oder Abwesenheit von CCR6 auf den Zellen mit dem eigentlichen Krankheitsverlauf zusammenhängt.“ (Blood, 2011; doi:10.1182/blood-2010-06-293027)
(Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, 14.03.2011 – DLO)