Mit einer ganzen Armada von Teleskopen auf dem Erdboden und im Weltall haben Astronomen den am weitesten entfernten bislang bekannten „erwachsenen“ Galaxienhaufen entdeckt und seine Entfernung zur Erde bestimmt.
Wie sie in der Fachzeitschrift „Astronomy & Astrophysics“ berichten, stammt das Licht, das sie dafür aufgefangen haben aus einer Zeit, als das Universum weniger als ein Viertel so alt war wie jetzt. Der junge Haufen zeigt überraschend große Ähnlichkeit mit den Galaxienhaufen im heutigen Universum, die ungleich mehr Zeit hatten, sich weiter zu entwickeln.
„Wir haben die Entfernung zu dem am weitesten entfernten ausgewachsenen Galaxienhaufen gemessen, den man je gefunden hat”, berichtet Raphael Gobat von der Université Paris Diderot, der Leiter der Studie. „Auch bei genauerer Betrachtung sieht man diesem Galaxienhaufen nicht an, dass er sehr jung ist. Viele seiner Galaxien sind bereits voll entwickelt und weisen kaum Ähnlichkeit mit den für das junge Universum typischen Galaxien auf, in denen sich besonders viele Sterne bilden.”
Schwerkraft hält Galaxienhaufen zusammen
Galaxienhaufen sind die größten durch Schwerkraft zusammengehaltenen Strukturen im Universum. Astronomen gehen davon aus, dass diese Haufen mit der Zeit allmählich immer größer werden. Im jungen Universum sollten massereiche Galaxienhaufen aus diesem Grunde noch recht selten sein. Zwar wurden auch noch weiter entfernte Galaxienhaufen beobachtet als der jetzt entdeckte. Diese scheinen aber keine ausgewachsenen Objekte zu sein, sondern junge Haufen, die noch im Entstehen begriffen sind.
Eine Ansammlung von Galaxien
Das internationale Astronomenteam nutzte die leistungsfähigen Instrumente VIMOS und FORS2 des Very Large Telescope (VLT) der Europäischen Südsternwarte (ESO) am Paranal-Observatorium in Chile, um die Entfernung zu Mitgliedern einer Ansammlung von lichtschwachen, roten Objekten zu bestimmen, die das Weltraumteleskop Spitzer zuvor entdeckt hatte. Diese Ansammlung von Galaxien mit der Bezeichnung CL J1449+0856 wies alle Anzeichen eines sehr weit entfernten Galaxienhaufens auf.
Tatsächlich ergab die Auswertung der Beobachtungen, dass es sich um einen Galaxienhaufen handelt, den wir in jenem Zustand sehen, den er hatte als das Universum nur etwa drei Milliarden Jahre alt war – weniger als ein Viertel seines heutigen Alters.
Kaum neue Sterne
Nachdem die Astronomen die Entfernung zu diesem ungewöhnlichen Objekt bestimmt hatten, führten sie eine gründliche Untersuchung der einzelnen Galaxien sowohl mit dem Hubble-Weltraumteleskop als auch mit bodengebundenen Teleskopen einschließlich des VLT durch. Dabei fanden sie Anzeichen dafür, dass die meisten der Galaxien kaum mehr neue Sterne bilden.
Diese Galaxien bestanden stattdessen überwiegend aus Sternen, die bereits etwa eine Milliarde Jahre alt waren. Das macht den Galaxienhaufen zu einem „erwachsenen“ Exemplar seiner Gattung. Seine Gesamtmasse ist vergleichbar mit der des Virgohaufens, des von der Milchstraße aus nächstgelegenen großen Galaxienhaufens.
Gasreservoir als weiteres Indiz
Weitere Anzeichen dafür, dass es sich bei CL J1449+0856 um einen ausgewachsenen Haufen handelt, ergaben Röntgenbeobachtungen mit dem Satellitenteleskop XMM-Newton der ESA. Der Galaxienhaufen erzeugt nach den Ergebnissen der Wissenschaftler Röntgenstrahlung, die sich auf sehr heißes und dünnes Gas zurückführen lässt, das den Raum zwischen den Haufengalaxien ausfüllt und eine Konzentration zum Zentrum des Haufens hin aufweist.
Ein junger, noch in der Entwicklung befindlicher Galaxienhaufen hätte noch nicht genügend Zeit gehabt, ein solches Gasreservoir anzusammeln, so die Astronomen. Die Röntgenstrahlung ist damit ein weiteres Anzeichen dafür, dass es sich um einen voll entwickelten Galaxienhaufen handelt.
Bisheriges Bild vom frühen Universum überdenken?
Gobat erläutert abschließend: „Diese neuen Ergebnisse stützen die Theorie, dass erwachsene Galaxienhaufen bereits existierten, als das Universum weniger als ein Viertel seines heutigen Alters hatte. Doch vermutlich sind solche Haufen sehr selten, so dass wir Glück hatten, ein solches Objekt überhaupt zu finden. Sollten zukünftige Beobachtungen allerdings noch weitere solche Haufen entdecken, dann müssten wir unser bisheriges Bild vom frühen Universum grundsätzlich überdenken.“ (Astronomy & Astrophysics, 2011; daoi:10.1051/0004-6361/201016084)
(Max-Planck-Institut für Astronomie / ESO Science Outreach Network, 10.03.2011 – DLO)