Blattschneiderameisen betreiben „Landwirtschaft“: Sie schneiden Blätter von den Bäumen und tragen wie am Fließband Blattschnipsel in ihre unterirdischen Nester. Die Insekten züchten darauf Pilze, von denen sie sich ernähren. Ein internationales Forscherkonsortium hat nun erstmals gezeigt: Diese hoch spezialisierte Lebensweise hat sich im Erbgut der Blattschneiderameisen niedergeschlagen und zum Beispiel dazu geführt, dass bestimmte Gene, die sonst zur Verdauung nötig sind, fehlen.
Die Forscher um die Professoren Cameron Currie und Garret Suen von der US-amerikanischen Universität Wisconsin-Madison stellen die Ergebnisse ihrer neuen Studie, in der sie erstmalig das vollständige Genom der Blattschneiderameisen-Art Atta cephalotes analysierten, jetzt in der Fachzeitschrift „PLoS Genetics“ vor.
Pilzbewirtschaftung bis zu 50 Millionen Jahre alt
„Aus dem Genom lässt sich nun einiges aus der Evolutionsgeschichte der Ameisen in den vergangenen 30 bis 50 Millionen Jahre ablesen – so lange gibt es die Pilzbewirtschaftung vermutlich schon“, erläutert Erich Bornberg-Bauer vom Institut für Evolution und Biodiversität der Universität Münster (WWU), dessen Team ebenfalls an dem Projekt entscheidend mitgearbeitet hat.
Durch die reiche Nahrungsversorgung konnten die Blattschneiderameisen es sich leisten, einige Gene, die bei anderen Insekten eine wichtige Rolle im Stoffwechsel spielen, zu verlieren. So produzieren die Ameisen bestimmte Verdauungsenzyme nicht mehr – sie sind überflüssig geworden, da die Verdauung der Pilzprodukte keine Zerlegung von Proteinen erfordert.
Die Ameisenlarven haben auch die Fähigkeit eingebüßt, bestimmte Aminosäuren herzustellen. „Wir gehen davon aus, dass der Pilz sie damit versorgt und es daher für die Ameisen nicht mehr nötig ist, sie zu produzieren“, so Bornberg-Bauer weiter.
Genomverschlankung bei Blattschneiderameisen
Der Schlüssel zu dieser Genomverschlankung liegt in der symbiotischen Lebensweise der Blattschneiderameisen. Die Tiere leben in einem Geflecht von gegenseitigen ökologischen Abhängigkeiten. Zahlreiche körperlich extrem unterschiedliche Kasten von Arbeiterinnen optimieren die Zucht der Pilze durch eine präzise Arbeitsteilung.
Dazu gehören zum Beispiel riesige Kriegerinnen, die die Kolonie mitsamt dem Pilz verteidigen. Es gibt auch winzige Gärtnerinnen, die mit ihren filigranen Mundwerkzeugen den Pilz behutsam pflegen, oder Sammlerinnen, die auf das Eintragen von Blättern spezialisiert sind.
Bakterien machen Pilzgärten Schmarotzer-frei
Der Pilz wird nach Angaben der Forscher oft von einem anderen Schmarotzerpilz attackiert. Doch die Ameisen sorgen vor: Sie tragen bestimmte Bakterien auf ihrem Körper und füttern sie dort mit einem Drüsensekret. Die Bakterien wiederum helfen, die Pilzgärten von Schmarotzerpilzen frei zu halten.
Andere Bakterien nutzen die Pilzgärten als Nahrungsgrundlage und versorgen im Gegenzug Pilze und Ameisen mit Stickstoff. Die Ameisen haben somit nicht nur eine Art Landwirtschaft, sondern hoch spezialisierte Hygienemaßnahmen entwickelt. Gleichzeitig wurden sie aber damit auch abhängig – ohne Pilz gehen die Kolonien zugrunde.
Genetische Grundlagen der Kastenaufteilung unklar
Die genetischen Grundlagen der Kastenaufteilung sind noch rätselhaft. „Aber durch die Untersuchung des Genoms werden wohl nun bald auch hier neue Erkenntnisse folgen“, vermutet Bornberg-Bauer.
Wissenschaftler gehen davon aus, dass die so genannte Epigenetik eine große Rolle spielt – dass also durch Umwelteinflüsse bestimmte Teile des Genoms stillgelegt werden. Durch die Analyse der Genome weiterer Ameisenarten wollen die Wissenschaftler weitere Rückschlüsse auf die Ursachen des Erfolges dieser Tiergruppe ziehen. (PLoS Genetics 2011; doi:10.1371/journal.pgen.1002007)
(Universität Münster, 15.02.2011 – DLO)