Evolution

Forscher ordnen Stammbaum der Tiere neu

Einfache marine Würmer enger mit komplexen Lebewesen verwandt sind als bisher angenommen

Der acoelomate Wurm Hofstenia miamia gehört ebenfalls zu den "Neumündern". © Andreas Wallberg / Universität Uppsala

Sie sind winzig, der Mund dient gleichzeitig als After und anstelle eines Gehirns haben sie ein diffuses Nervensystem. Trotzdem sind Xenoturbella und die Acoelomaten, zwei Gruppen einfacher mariner Würmer, enger mit komplexen Lebewesen wie Menschen und Seeigel verwandt sind als bisher angenommen. Dies hat jetzt ein internationales Wissenschaftler-Team in einer neuen Studie in „Nature“ online herausgefunden.

Die Forscher um Albert Poustka vom Max-Planck Institut für molekulare Genetik in Berlin ordnen damit die Abstammungsgeschichte der Tiere grundlegend neu. Bislang galten die acoelomaten Würmer als die entscheidende evolutionäre Verbindung zwischen einfachen Tieren wie Schwämmen und Quallen und komplexeren Organismen. Nun stellt sich heraus, dass diese Tiere nicht immer so einfach aufgebaut waren wie heute.

Xenoturbella und acoelomate Würmer

Die Gattung Xenoturbella lebt vor den Küsten Skandinaviens, Schottlands und Islands. Sie hat mit den acoelomaten Würmern einen einfachen Körperbau gemeinsam: Die maximal wenige Millimeter großen Würmer besitzen keinen durchgängigen Darm, After, keine Kiemenbögen und keine Körperhöhle. Viele Mitglieder beider Gruppen leben am Meeresgrund und ernähren sich dort von organischen Partikeln im Sediment. Einige Arten leben auch parasitisch, wie zum Beispiel im Darm von Seegurken.

Forscher untergleidern das Tierreich in verschiedene evolutionäre Linien. Dazu zählen unter anderem die so genannten „Urmünder“ – Protostomia – und die „Neumünder“ (Deuterostomia). Bei den Urmündern wird der Ur-Mund zu Beginn der Embryonalentwicklung auch tatsächlich der Mund, bei den Neumündern wird er zum After, der Mund entwickelt sich später.

Bislang waren drei Stämme der Deuterostomia bekannt: Chorda-Tiere wie die Wirbeltiere, Stachelhäuter – Seeigel, Seesterne, Seegurken – sowie die Eichelwürmer. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass Xenoturbella und acoelomate Würmer zusammen den vierten Stamm bilden. Wir nennen ihn die ‚Xenacoelomorpha’“, erklärt Poustka.

Würmer vereinfachten Bauplan

Den Wissenschaftlern zufolge haben Xenoturbella und acoelomate Würmer einen gemeinsamen Vorfahren, von dem auch die sehr komplexen Gruppen der Deuterostomier abstammen. „Xenacoelomorphe Würmer sind also ursprünglich nicht wie bisher angenommen einfach aufgebaut, sondern haben im Laufe der Evolution die für viele Deuterostomier charakteristischen Merkmale verloren. Die Würmer haben ihren Bauplan in Wirklichkeit vereinfacht, weil das offenbar genauso oder sogar vorteilhafter war als ein komplizierter Körperaufbau“, sagt Poustka.

„Mini“-Gene im Visier

Die Wissenschaftler untersuchten mit Hilfe äußerst rechenintensiver mathematischer Modelle neue „mini“-Gene (microRNAs) und Aminosäuren der komplett sequenzierten mitochondrialen Genome aus Acoelomaten und Xenoturbella sowie einen großen Satz von mehreren hundert Genen. Die Analyse der microRNAs von Xenoturbella und dem acoelomaten Wurm Hofstenia miamia zeigte, dass der zuvor analysierte acoelomate Wurm Symsagittifera roscoffensis viele dieser „mini“-Gene verloren hatte.

Das Gen-Repertoire der untersuchten Tiere deutet vielmehr auf eine Verwandtschaft dieser Tiere mit den Deuterostomia hin. So besitzen sie beispielsweise eine microRNA, die bisher nur von Stachelhäutern und Eichelwürmern bekannt ist. Außerdem haben alle bislang analysierten Tiere des neuen Xenacoelomorpha-Stamms das Gen RSB66, das bisher nur in Deuterostomiern nachgewiesen werden konnte.

Forscher wollen Evolution der Deuterostomier besser verstehen

Die komplexen Tiere der Protostomier und Deuterostomier stammen demnach nicht beide wie bislang angenommen von den acoelomaten Würmern ab, so die Forscher. Frühere Untersuchungen unterlagen offenbar einem systematischen Fehler, den Wissenschaftler als „Long branch artifact“ bezeichnen. Zu diesem Fehler kommt es häufig, wenn das Erbgut von Organismen verglichen wird, die sich lange unabhängig voneinander entwickelt haben. Auch wenn sich die DNA-Sequenzen mancher Organismen schneller als der Durchschnitt veränderten, kann dieser Effekt auftreten. „Genau dies war bei den acoelomaten Würmern der Fall“, so Poustka.

Als nächstes wollen die Forscher das gesamte Erbgut verschiedener Arten der Xenacoelomorpha entschlüsseln, um die Evolution der Deuterostomier noch besser zu verstehen.

(MPG, 14.02.2011 – DLO)

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