Genetik

Viren-DNA als „Polizei“ in unserem Erbgut

Endogener Retrovirus verbessert Selbstschutz vor Krebs durch Kontrollfaktor

Endogene Retroviren: 8,5 Prozent unseres Genoms bestehen aus Virengenen. © NHGRI/CDC

Ein vor 15 Millionen Jahren in unser Genom eingebautes Retrovirus ist heute ein wichtiger Helfer gegen Krebs und fehlgebildete Spermien beim Mann. Die endogene Viren-DNA verstärkt die Produktion eines Kontrollfaktors in den Vorläuferzellen von männlichen Keimzellen und fördert so den „Selbstmord“ fehlerhafter Zellen. Die jetzt im Wissenschaftsmagazin “Proceedings of the National Academy of Sciences” (PNAS) veröffentlichten Ergebnisse könnten auch als Grundlage für die Entwicklung neuer und innovativer Therapien gegen Hodenkrebs dienen.

Noch mit 70 Jahren können Männer Väter von gesunden Kindern werden. Eigentlich ist das ein kleines Wunder an Qualität. Denn männliche Keimzellen werden in kaum vorstellbaren Mengen produziert: Pro Sekunde kann ein Mann etwa 1.000 davon bilden. Im Jahr sind das zirka 30 Milliarden solcher Zellen. Jede von ihnen könnte etwa zur Hälfte den Bauplan eines neuen Menschen vorgeben. Wie kann bei so rascher Produktion die nötige Qualität beibehalten werden? Wie können Fehler bei der Spermienproduktion vermieden werden? Den molekularen Mechanismus dafür haben jetzt Göttinger Forscher entdeckt.

DNA vom Retrovirus im Menschengenom

„Durch eine genau bestimmbare genetische Ergänzung wurde bei Menschen und Menschenaffen der Kontrollmechanismus verstärkt“, erklärt Matthias Dobbelstein von der Universitätsmedizin Göttingen. Auslöser dafür sind Teile eines in unser Genom dauerhaft eingebauten Virus, das zu den so genannten endogenen Retroviren gehört. Dabei handelt es sich um Genabschnitte, die im Aufbau Teilen des AIDS-Virus ähneln, ohne jedoch zu einer Immunschwäche oder einer anderen Krankheit zu führen.

Vor 15 Millionen Jahren wurde diese Virus-DNA bei einem unserer Vorfahren – anscheinend durch einen für uns günstigen Zufall – ins Erbgut eingesetzt und hat sich anschließend in der Evolution durchgesetzt. Das Einsetzen der Virus-DNA geschah in der Nähe eines Gens, das einen wesentlichen Kontrollfaktor produziert, wie die Wissenschaftlerin Ulrike Beyer entdeckte.

Kontrollfaktor treibt fehlerhafte Zellen in den Tod

Der Kontrollfaktor – genannt p63 – wird in den Vorläufern von Keimzellen, den so genannten Spermatogonien, in besonders großen Mengen angefertigt. Er steht für eine strenge Qualitätskontrolle des Erbguts: Schon bei geringen Schäden an der DNA sterben Zellen durch seine Wirkung ab. Dadurch wird vermieden, dass ein beschädigtes Genom an die nächste Generation weitervererbt wird. Das Kontroll-Szenario von p63 nimmt auch Opfer in Kauf: So kann der Kontrollfaktor p63 den zellulären

Selbstmord, Apoptose genannt, massiv verstärken.

Schutz auch vor Hodenkrebs

Könnte p63 also auch die Entstehung von Tumoren, von Krebs unterbinden? Auch hierauf fanden die Göttinger Forscher eine Antwort, diesmal in Kooperation mit Ute Moll, die Gastprofessorin der Universitätsmedizin Göttingen ist, gleichzeitig aber ein US-amerikanisches Team an der Stony Brook University in New York, leitet. Das Ergebnis ihrer Untersuchungen: Der Kontrollfaktor p63 kann in den Stammzellen normaler Hoden gefunden werden. Dagegen fehlt er in der weit überwiegenden Zahl der aus diesem Gewebe abgeleiteten Krebsgeschwüre.

„Dies deutet darauf hin, dass p63 in normalem Gewebe eine Barriere der Tumorentstehung darstellt“, erklärt Dobbelstein. In Hodenkrebszellen konnten die Wissenschaftler die Funktion von p63 durch die Zugabe von Medikamenten vollständig wiederherstellen. Die Forschungsergebnisse könnten als Grundlage für die Entwicklung neuer und innovativer Therapien gegen Hodenkrebs dienen. (PNAS, 2011; doi: 10.1073/pnas.1016201108)

(Universitätsmedizin Göttingen, 09.02.2011 – NPO)

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