Das Bild von Neandertaler als reinem Jäger und „Fleischfresser” muss revidiert werden: Wissenschaftler haben erstmals Spuren pflanzlicher Nahrung im Zahnstein von 40.0000 Jahre alten Neandertaler-Zähnen in Europa und dem Nahen Osten entdeckt. Diese jetzt in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences” (PNAS) veröffentlichten Funde belegen eindeutig, dass auch unser eiszeitliche Vetter bereits Pflanzen sammelte und sie sogar über dem Feuer kochte oder grillte.
Lange Zeit galten die Neandertaler als „Fleischfresser“, als eiszeitliche Jäger deren Nahrung vorwiegend oder sogar zeitweise ausschließlich aus Fleisch erlegter Beute bestand. Genau diese Einseitigkeit, so die Theorie einiger Anthropologen, könnte dem modernen Menschen den entscheidenden Vorteil verschafft haben, als sich das Klima in Europa änderte und die Eiszeit endete. Denn er ergänzte seinen Nahrungsbedarf nachweislich mit Pflanzen und Fisch, vom Neandertaler gab es dafür bisher jedoch keine Belege.
Fossiler Zahnstein als Indiz
Doch ein Forscherteam der George Washington Universität und der Smithsonian Institution hat nun doch Beweise dafür entdeckt, dass auch die Neandertaler nicht nur Pflanzen und Früchte aßen, sondern auch das Feuer nutzten, um sie zuzubereiten. „Neandertaler werden oft als rückständig oder primitiv dargestellt“, erklärt Amanda Henry von der George Washington Universität, die Hauptautorin der Studie. „Jetzt beginnen wir erst zu verstehen, dass sie einige ziemlich fortgeschrittene Technologien und Verhaltensweisen besaßen.“
Für ihre Studie untersuchten die Wissenschaftler 40.000 Jahre alte fossile Zähne aus der Shanidar Höhle im Irak und der Spy Höhle in Belgien. Dabei konzentrierten sie sich auf den Zahnstein der Neandertaler, denn in ihm blieben winzigste Nahrungsreste erhalten. „Neandertaler und frühe Menschen putzte sich nicht die Zähne“, erklärt die Anthropologin Alison Brooks von der George Washington Universität. „Deshalb blieb der Zahnbelag auf den Zähnen und konservierte winzige Hinweise auf den bisher unbekannten pflanzlichen Anteil ihrer Nahrung.“
Stärkereste eindeutig pflanzlicher Herkunft
Tatsächlich entdeckten die Forscher winzige Stärkekügelchen in dem urzeitlichen Zahnstein, die nur aus pflanzlicher Nahrung stammen konnten. Sie wiesen Stärkemoleküle verschiedener Pflanzen nach, darunter einer Art von Wildgräsern, Datteln sowie verschiedenen Wurzeln, Gemüsen und Knollen. Damit muss das Nahrungsspektrum der Neandertaler der des modernen Menschen weitaus ähnlicher gewesen sein als bislang angenommen. Nach Ansicht der Forscher trafen die Neandertaler damit offensichtlich bereits eine bewusste Auswahl ihrer Nahrung und ernährten sich vielseitig.
Viele Stärkekörner zeigen Veränderungen, wie sie typischerweise durch Erhitzen zustande kommen – für die Wissenschaftler ein Anzeichen dafür, dass die Pflanzen bereits über Feuer gekocht oder gegrillt wurden, um sie besser verdaulich zu machen. „Diese signifikanten Funde geben uns neue Einblicke in die Lebensweise der Neandertaler“, so Peg Barratt von der George Washington Universität. Zumindest in punkto Nahrung scheint der Neandertaler jedenfalls seinem moderneren Vetter nicht unterlegen gewesen zu sein.
(George Washington University, 03.01.2011 – NPO)