Hormone, Wachstumsfaktoren und einige andere Proteine sorgen beizeiten für den notwendigen Zuwachs – die Komponenten, die bei Säugern in der Pubertät zum Brustwachstum führen, schienen weitgehend bekannt. Doch anscheinend sind Hormone und Proteine bei der Brustentwicklung doch nicht alles: Dies haben jetzt deutsche Wissenschaftler in einer neuen Studie herausgefunden. Sie konnten zeigen, dass winzige Ribonukleinsäure-Moleküle dabei eine Schlüsselrolle spielen.
Bei Mäusen, denen das Gen für die mikroRNAs 212 und 132 fehlte, blieb das Wachstum ihrer Brustdrüsen während der Pubertät vollkommen aus, berichten die Forscher aus Göttingen, Frankfurt und Hannover in der Online-Ausgabe der Fachzeitschrift „Nature Genetics“.
Damit haben Wissenschaftler erstmals im Tiermodell belegt, dass kleine Ribonukleinsäure-Moleküle – so genannte mikroRNAs – auch bei der Organentwicklung eine wichtige Funktion erfüllen. „Das war auch für uns eine Überraschung“, sagt Projektleiter Kamal Chowdhury vom Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen. „Die bei unseren Versuchen eingesetzten Mäuse besaßen ja noch alle Hormone, Wachstumsfaktoren und Proteine, die für eine normale Brustentwicklung sorgen. Aber allein das Fehlen des Gens für die mikroRNAs miR-212- und miR-132 bewirkte, dass das Wachstum der Brustdrüsen, insbesondere der Milchgänge, ganz ausblieb.“
mikroRNAs ermöglichen Feinabstimmung der Protein-Produktion
Dass mikroRNAs ganz wesentliche regulatorische Funktionen haben, ist bereits seit einigen Jahren bekannt. Sie kodieren selbst zwar nicht für Proteine, sind aber für die Feinabstimmung bei der Produktion bestimmter Proteine zuständig und greifen damit ganz wesentlich in den Stoffwechsel ein. Doch das Repertoire der kleinen RNA-Moleküle ist damit bei Weitem nicht erschöpft.
„Mit verschiedenen Experimenten haben wir zeigen können, welche Schlüsselrolle diese RNA-Familie bei der Entwicklung der Brustdrüse spielt und wo die Moleküle vermutlich regulatorisch eingreifen“, erklärt Chowdhury.
Bindegewebe als Einsatzort
Die Brustdrüse, auch Milchdrüse genannt, besteht aus dem Drüsengewebe mit den Milchgängen und aus dem Bindegewebe mit stützender und regulierender Funktion. Bei der Maus ist das Drüsengewebe vom Bindegewebe umgeben und klar abgegrenzt. Das Bindegewebe scheint nach den Ergebnissen der Wissenschaftler auch der Ort zu sein, an dem miR-212 und miR-132 in den Entwicklungsprozess eingreifen.
Denn ausschließlich hier, so konnten Chowdhury und sein Kollege Ahmet Ucar mit ihren Versuchen nachweisen, werden die Gene dieser Ribonukleinsäure-Moleküle „angeschaltet“.
Molekularer Dimmer
Dabei scheinen die mikroRNA-Moleküle, so das Modell der Forscher, die Produktion eines Proteins namens MMP-9 zu kontrollieren. „Ähnlich wie ein Dimmer können die mikroRNAs die Produktion von MMP-9 herunterregulieren“, erklärt Ucar. Fehlen die mikroRNAs, werden mehr MMP-9-Proteine hergestellt und sammeln sich in der Nähe der Milchgänge an. Dort aktivieren sie offenbar einen Signalweg, der dann im Drüsengewebe verhindert, dass die Milchgänge normal auswachsen können.
„Ihre regulatorische Funktion üben diese winzigen RNA-Moleküle also aus, indem sie die Kommunikation zwischen den beiden Geweben der Brustdrüse beeinflussen“, sagt Ucar. Weitere Experimente müssen nun überprüfen, ob die mikroRNAs auch beim Menschen die Brustentwicklung regulieren. Was passiert, wenn die mikroRNAs fehlerhaft arbeiten, darüber können die Wissenschaftler derzeit nur spekulieren. „Ob solche Fehlfunktionen beispielsweise zur Entstehung von Tumoren im Brustgewebe führen können, müssen weitere Studien erst noch zeigen“, so Chowdhury.
(MPG, 08.11.2010 – DLO)