Sex macht Spaß, bringt aber evolutionsbiologisch gesehen durchaus auch einige Nachteile mit sich. Warum sich die sexuelle Fortpflanzung in der Natur trotzdem durchgesetzt hat, haben Biologen jetzt mit Hilfe von Rädertierchen herausgefunden. Wie sie in „Nature“ berichten, überwiegt der Nutzen des Sex die Kosten immer dann, wenn Lebewesen in einer wechselhaften Umwelt leben, an die sie schlecht angepasst sind.
Warum hat die Natur den Sex erfunden? Eine Frage, die Evolutionsbiologen umtreibt, denn Sex bringt durchaus auch einige Nachteile für das Individuum: Bei optimaler Anpassung an die Umwelt kann das Mischen der Gene den Nachkommen auch unangepasste und damit ungünstige Gene verleihen. Sexuelle Fortpflanzung wird noch kostspieliger, wenn Männchen außer ihren Genen keinen Beitrag zur Aufzucht des Nachwuchses leisten. Weitere Kosten sind das erhöhte Risiko, sich mit sexuell übertragbaren Krankheiten anzustecken oder bei der Paarung einem Räuber zum Opfer zu fallen.
Mehr Sex in vielseitiger Umwelt?
Bei all diesen Kosten des Sex: Weshalb gibt es ihn? Dieser Frage ist der Zoologe Lutz Becks von der Universität zu Köln gemeinsam mit seinem Kollegen Aneil Agrawal von der Universität Toronto nachgegangen. Ziel der Wissenschaftler war es, eine der Theorien zur Evolution der sexuellen Fortpflanzung experimentell auf den Prüfstand zu stellen. Diese Theorie besagt, das Sex sich eher entwickelt, wenn sich eine Art in einer heterogenen Umwelt mit räumlich stark unterschiedlichen Lebensbedingungen befindet.
Rädertierchen haben noch die Wahl
Für ihre Studie beobachteten die Wissenschaftler das Fortpflanzungsverhalten von Brachionus calyciflorus, einem sogenannten monogononten Rädertierchen. Interessant ist die Spezies für die Biologen als Modellorganismus, weil sie die Qual der Wahl hat: Sexuelle oder asexuelle Fortpflanzung. „Das Neue an der Arbeit ist, dass wir mit diesem System in der Lage sind, die Evolution von Sex im Experiment zu verfolgen“, erklärt Becks. „Mit dem Rädertier-System lässt sich nun über viele Generationen hinweg verfolgen, wie die ‚Sexrate‘, beziehungsweise die Investition in sexuelle Fortpflanzung, evolviert. Damit sind wir nun in der Lage, einige der zahlreichen Hypothesen zur Evolution von Sex testen.“ Die Wissenschaftler verglichen dafür zwei Populationen: eine unter gleichbleibenden Umweltbedingungen, eine unter wechselnden.
Gleichförmige Umwelt als „Sexkiller“
Das Ergebnis der Beobachtungen war eindeutig: Bei homogenen Umweltbedingungen zeigten die Probanden wenig Neigung zur geschlechtlichen Fortpflanzung. Gerade einmal sieben Prozent der Eier wurden bei homogener Umwelt geschlechtlich gezeugt. Anders sah die Situation in einer wechselnden Umgebung aus. Hier fanden die Forscher mehr als doppelt so viele befruchtete Eier. Die Zahl der geschlechtlichen Fortpflanzung sank hier nur leicht, stieg in einem zweiten Teil des Experiments sogar wieder an.
Die Biologen sehen die heterogenen Umweltbedingungen als einen der Auslöser sexueller Fortpflanzung an. Hier kann der Nutzen des Sex die Kosten überwiegen. „Wir konnten eine der Hypothesen zur Evolution von Sex, nämlich dass Sex in einer heterogenen Umwelt mit Wanderung zwischen verschiedenen Habitaten von Vorteil sein kann, bestätigen“, erklärt Becks. „Sex ist dann von Vorteil, weil es hilft, die schlechten Genkombinationen, die man mitbringt, schneller los zu werden. Denn der sexuell produzierte Nachwuchs bekommt einen halben Satz der Gene von den Individuen, die an diese Bedingungen schon angepasst sind.“ Mit anderen Worten: Sex lohnt sich, wenn Lebewesen in einer wechselhaften Umwelt leben, an die sie schlecht angepasst sind.
(Universität zu Köln, 15.10.2010 – NPO)