Sprache findet nicht nur im Sprachzentrum unseres Gehirns statt: Bei bestimmten, bewegungsassoziierten Wörtern ist auch der motorische Kortex, das für die Bewegungssteuerung zuständige Hirnareal, beteiligt. Diese jetzt in „Current Biology“ veröffentlichte Erkenntnis könnte beispielsweise das Wiedererlernen der Sprache bei Schlaganfallpatienten stark erleichtern.
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Jedes Jahr erleiden rund 200.000 Menschen in Deutschland einen Schlagfanfall. Knapp ein Viertel der Betroffenen behält schwerwiegende Sprachstörungen zurück. Die Reahbilitätion und das Training zum Widererwerb der Sprache sind meist mühsam und langwierig. Doch jetzt haben Wissenschaftler vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) um Friedhelm Hummel etwas entdeckt, das zukünftig Patienten beim Wiedererlernen der Sprache unterstützen könnte.
Motorischer Kortex reagiert auch auf Sprache
Grundlage dieser Entdeckung war die Erkenntnis, dass Sprachfunktionen nicht nur in den klassisch identifizierten Spracharealen – dem Sprachzentrum – organisiert sind. Vielmehr erkannten die Neurologen, dass auch andere Hirnregionen an Sprachprozessen beteiligt sind. So stellte sich heraus, dass etwa der motorische Kortex nicht nur Bewegungen kontrolliert, sondern auch am Verarbeiten und Erlernen von bestimmten Sprachaspekten beteiligt ist. Das bedeutet konkret: Liest oder hört man ein bewegungsassoziiertes Verb wie „treten“ oder „rennen“ oder erlernt es, wird neben dem Sprachzentrum auch der Gehirnbereich aktiviert, der die tatsächliche Steuerung dieser Bewegung ausführt.
Sprachlernspiel mit „bewegten“ Wörtern
Inwiefern der motorische Kortex sich auch am (Wieder-)Erlernen von Sprache beteiligen kann, untersuchten nun die Hamburger Wissenschaftler, indem sie 63 Probanden einem Sprachlernexperiment unterzogen. Bei diesem Sprachspiel sollten die Testpersonen innerhalb von vier Trainingseinheiten die Verknüpfung von Fantasiewörtern wie beispielsweise „sigu“) mit der Bedeutung von Bildern aus dem Bereich Bewegung, wie beispielsweise dem Bild einer tretenden Person, erlernen und einprägen. Dabei wurde bei einem Teil der Probanden der motorische Kortex der linken Gehirnhälfte mittels nicht-invasiver Hirnstimulation gehemmt.
Motorischer Kortex beteiligt
Das Ergebnis: Die Testpersonen, bei denen der motorische Kortex gestört wurde, erlernten die Bedeutung der Fantasiewörter deutlich schlechter als diejenigen ohne Hirnstimulation. So konnte erstmals unter Beweis gestellt werden, dass neben den klassischen Spracharealen auch der motorische Kortex am Spracherwerb beteiligt ist. Dies führt die Wissenschaftler zu der vielversprechenden Hypothese, dass aktivierende Beeinflussung des motorischen Kortex durch Hirnstimulation auch Sprach(wieder)erwerb erheblich fördern könnte.
Neue Wege für das Sprachenlernen
Ob Sprachtherapien nach einem Schlaganfall oder Fremdsprachenlernen im Alter unterstützt durch Hirnstimulation– die Studienergebnisse bieten die Chance, bestehende Konzepte des Spracherwerbs weiter zu optimieren und innovative interventionelle Strategien zu entwickeln. Denkbar wäre beispielsweise nach Schlaganfällen, die klassische Sprachareale zerstörten, die Verbindung zwischen motorischen und sprachlichen Arealen durch Hirnstimulation zu fördern und damit Rehabilitationsmaßnahmen zum Wiedererwerb von Sprache zu unterstützen. Auf diese Weise könnten Sprachdefizite schneller beseitigt und damit die Lebensqualität von Patienten erheblich verbessert werden.
(Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, 14.10.2010 – NPO)