Gießener Wissenschaftlern ist ein entscheidender Durchbruch in der Adipositas-Forschung gelungen. Sie identifizierten in ihrer neuen Studie in der Fachzeitschrift „PloS One“ Neprilysin als Schlüsselenzym bei der Ausbildung von Fettleibigkeit – zumindest bei Mäusen.
Adipositas oder Fettleibigkeit ist eine Gesundheitsstörung, die durch eine Vielzahl von Faktoren ausgelöst wird. Neben zu hoher Kalorienaufnahme spielen auch genetische Komponenten eine wichtige Rolle. Adipöse Menschen haben ein stark erhöhtes Risiko an schwerwiegenden Begleiterkrankungen zu erkranken, wie Bluhochdruck, Diabetes mellitus, Herzinfarkt oder Schlaganfall. In den letzten Jahrzehnten haben Übergewicht und Fettleibigkeit weltweit so stark zugenommen, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) von einer Pandemie spricht.
Intensive Suche nach Wirkstoffen
Da die Umstellung von Ess- und Bewegungsverhalten stark von der Motivation und der Persönlichkeitsstruktur des Betroffenen abhängen, wird weltweit intensiv nach Wirkstoffen zur Behandlung der Adipositas gesucht. Trotz immenser Forschungsbemühungen gibt es aber immer noch keine entsprechende Dauermedikation. Um die Entwicklung von Therapieoptionen für die langfristige Behandlung der Adipositas voranzutreiben, müssen die zugrundeliegenden genetischen und biochemischen Grundlagen, die zur Entwicklung der Fettleibigkeit beitragen, besser verstanden werden.
Erhöhte Nahrungsaufnahme
Das Forscherteam um Professor Dr. Thomas Walther von der Universität Gießen konnte nun in Zusammenarbeit mit Dr. Wolf Siems vom Leibniz-Institut für Molekulare Pharmakologie (FMP) in Berlin-Buch zeigen, dass das Enzym Neprilysin – auch Neutrale Endopeptidase oder NEP genannt – eine herausragende Rolle in der Regulation der Nahrungsaufnahme und Fetteinlagerung spielt.
Die beteiligten Forscher beobachteten bei Mäusen, denen die NEP komplett fehlt, eine erhöhte Nahrungsaufnahme und einen exzessiven Anstieg des Körpergewichtes in Folge von massiven Fetteinlagerungen. Diese adipösen Mäuse zeigen genau wie viele fettleibige Menschen Störungen im Fett- und Zuckerwechsel und eine stark verschlechterte Glukosetoleranz.
Anstieg der Körperfettmenge
Sowohl die Stoffwechselstörungen als auch der Anstieg im Körpergewicht konnten den Wissenschaftlern zufolge auch in normalen Labormäusen beobachtet werden, denen der synthetische NEP-Hemmer Candoxatril ins Trinkwasser gegeben wurde. In einem Krankheitsmodell, der Kachexie, bei dem nicht die Gewichtsreduktion, sondern der verlangsamte Gewichtsverlust das Ziel der Behandlung ist, konnte die Gabe von Candoxatril den rapiden und oft tödlichen Gewichtsverlust verzögern.
Da Candoxatril nicht die Blut-Hirn-Schranke passieren und somit nur in der Peripherie wirken kann, scheint die periphere NEP und nicht die im zentralen Nervensystem (Gehirn) vorhandene entscheidend für diese Prozesse zu sein, so die Forscher. Sie schließen aus diesen Ergebnissen, dass die genetische und pharmakologische Inaktivierung der NEP zu einem Anstieg der Körperfettmenge führt.
Ziel: langfristige Reduktion des Körpergewichts
Das von Walther beschriebene Adipositasmodell ist ein neuartiger Ansatzpunkt zur Untersuchung der molekularen Mechanismen, die zur Entstehung und zum Voranschreiten der Adipositas beitragen. Darüber hinaus eignet es sich auch zur Entwicklung neuer Diagnose- und Therapieansätze für die Fettleibigkeit. Dementsprechend wollen die Forscher in einem nächsten Schritt Wege identifizieren, wie man pharmakologisch die NEP-Aktivität erhöhen kann, um damit eine langfristige Reduktion des Körpergewichtes zu erreichen.
(idw – Universität Gießen, 01.10.2010 – DLO)