Umwelt

Alarm für Flüsse weltweit

Erste zusammenfassende Kartierung von Stressfaktoren und ihren Folgen für Mensch und Umwelt

Die Gewässerstudie ziert die Titelseite der „Nature” © Nature

Die Verschmutzung und Übernutzung der Flüsse weltweit gefährdet langfristig die Wasserversorgung von 80 Prozent der Weltbevölkerung und 65 Prozent der Artenvielfalt der flusslebenden Pflanzen und Tiere. Das enthüllt die erste zusammenfassende Kartierung aller wichtigen Stressfaktoren für die Gewässer und ihrer Folgen für Mensch und Umwelt. Die jetzt in „Nature“ veröffentlichte Studie ermöglicht erstmals einen globalen Überblick über den Status der Flüsse und Seen und die verbreitetsten Probleme der einzelnen Regionen.

Gewässer haben es nicht leicht: In unseren eher wasserreichen Breiten werden sie oft als Endstation zahlreicher Verschmutzungen missbraucht oder per Damm und Deich zu „Wasserautobahnen“ umfunktioniert oder zu Seen aufgestaut. Andernorts dagegen wird ihnen auch noch das letzte bisschen Nass entnommen, um Felder zu bewässern oder die Trinkwasserversorgung zu sichern. Für die Organismen in den Flüssen und Seen ist dieser menschliche Einfluss oft fatal, verändert er doch ihren Lebensraum oft bis zur Unkenntlichkeit und bedroht damit ihre Lebensgrundlage.

Erstmals verschiedene Stressfaktoren kombiniert

Wie genau es um die Gewässer der Erde steht, war bisher nur anhand von Karten einzelner Parameter, beispielsweise nur Verschmutzungsgrad, festzustellen – und auch das selten global. Doch jetzt hat ein internationales Team von Wissenschaftlern aus zehn Institutionen erstmals eine umfangreiche Analyse und Kartierung auf globaler Ebene und unter Berücksichtigung mehrerer Einflussfaktoren durchgeführt. Dieses Projekt liefert damit einen kompletten Überblick über Zustand und Bedrohung sowohl der Wasserversorgung als auch der Artenvielfalt in den Gewässern.

Globale Verteilung der Bedrohung für die menschliche Wasserversorgung und die Biodiversität © Vörösmarty et al. / Nature

„Wir haben Karten von 23 unterschiedlichen Stressfaktoren kombiniert und zu einem einzigen Index zusammengefasst“ erklärt Peter McIntyre von der Universität von Wisconsin. „In der Vergangenheit konnten sich Politiker und Wissenschaftler mit immer nur einem Problem auf einmal beschäftigen. Wenn alle Bedrohungen nun simultan betrachtet werden, zeigt sich ein viel volleres und bedeutenderes Bild.“ Zu den berücksichtigten Stressfaktoren gehörten unter anderem die Auswirkungen von Verschmutzung, Dämmen und Stauseen, sowie der Übernutzung und der Überdüngung durch landwirtschaftliche Abwässer, aber auch der Verlust von Feuchtgebieten und die Ausbreitung invasiver Arten.

Mit dieser Auswahl liegen die Forscher noch auf der „konservativen“ Seite, da sie Faktoren mit ungenügender Datenbasis wie die Wirkung und Verbreitung von Arzneimittelresten oder Bergbauabwässern nicht mit aufgenommen haben. Viele Faktoren beeinflussen zudem die menschliche Wasserversorgung und die Artenvielfalt der im Wasser lebenden Organismen auf ganz unterschiedliche Weise. So wirken sich beispielsweise Stauseen nicht negativ auf den menschlichen Trinkwassernachschub aus, verändern aber die aquatische Artenvielfalt dramatisch. Entsprechend anspruchsvoll war die Auswertung der Daten.

Hochgradige Gefährdung auch in Europa

Sie ergab hochgradige Gefährdungen für die Wasserversorgung sowohl für die Industrie- als auch für die Entwicklungsländer. Betroffen sind beispielsweise ein Großteil der USA, nahezu ganz Europa, aber auch große Teile von Zentralasien, dem mittleren Osten, dem Indischen Subkontinent und Ostchina. Die Ursachen für die Degradierung vieler der am stärksten bedrohten Flüsse in den Entwicklungsländern gleichen denen von Flüssen in ähnlichem Zustand in reicheren Ländern in extremer Weise. Der einzige Unterschied: die Industrieländer verfügen über ausreichende Mittel, um die Folgen mit technisch aufwändigen Verfahren zu behandeln.

„In der industrialisierten Welt neigen wir dazu, unsere Oberflächengewässer aufs Spiel zu setzen und versuchen dann, die Probleme zu lösen, indem wir Milliarden von Dollars dafür ausgeben“, erklärt Charles Vörösmarty, Direktor der Environmental CrossRoads Initiative an der City Universität New York und Professor für Bauingenieurswesen. „In den reichen Ländern können wir uns das leisten, aber die armen Länder können das nicht.“

Reiche Länder steuern durch technische Lösungen gegen und reduzieren damit die manifeste Bedrohung. Rechnet man diese meist nur auf die Symptome wirkenden Maßnahmen mit ein, ergibt sich insbesondere für Europa ein besseres Bild, nicht jedoch für die ärmeren Länder, denen das Geld für solche Maßnahmen fehlt. © Vörösmarty et al. / Nature

Biodiversität und Versorgungssicherheit verknüpft

Er und seine Kollegen rufen daher in ihrem „Nature”-Artikel zu einem ökonomischeren Ansatz in Form eines integrierten Wassermanagements auf. Bei diesem werden die Bedürfnisse von Mensch und Natur zusammen betrachtet und Lösungen gesucht, die beiden gerecht werden. So könnten eine effizientere Landnutzung und bessere Bewässerungstechniken beispielsweise dafür sorgen, dass von vornherein weder so viel Wasser aus Flüssen entnommen werden muss, noch so viele mit Düngemitteln belastete Eintragungen stattfinden.

Die Studie zeigt, wie eng die Biodiversität der aquatischen Systeme mit dem Zustand der Flüsse und letztlich auch mit der dem Menschen zur Verfügung stehenden Wasserqualität verknüpft ist. „Wir können die Bedrohungen von Wasserversorgung und Biodiversität nicht länger als zwei getrennte Dinge betrachten“, so Vörösmarty. „Wir müssen beide verbinden. Der systematische Rahmen, den wir geliefert haben, ermöglicht es uns jetzt, Mensch und Biodiversität auf gleichem Terrain zu betrachten.“ Ein zukunftsträchtiges Wassermanagement muss daher nach Ansicht der Forscher immer auch beide Aspekte mit einbeziehen.

Datenbasis für internationale Beschlüsse

Um Verbesserungen zu erreichen sind jedoch nicht nur nationale und regionale Initiativen nötig, sondern auch internationale Beschlüsse, da mehr als 250 Flusssysteme Ländergrenzen überschreiten. Auch für solche Initiativen bietet die neue Studie jetzt erstmals eine Daten- und damit auch Verhandlungsgrundlage. „Es ist absolut essenziell, Informationen und Werkzeuge zu haben, die nationenübergreifend geteilt werden“, erklärt Vörösmarty. „Unser Wissen über diese Systeme wird immer schlechter, weil Länder aufhören in die grundlegende Überwachung sowohl von Qualität als auch von Quantität zu investieren. Wie können wir Protokolle zum Schutz der Artenvielfalt und der Sicherung der Wasserversorgung erstellen ohne gute Informationen zu haben?“

(City College of New York, 30.09.2010 – NPO)

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