Bisher dachte man immer, das Leben müsse in einer warmen, salzhaltigen Brühe entstanden sein – der Ursuppe. Doch eine Studie in „Nature Communications“ belegt jetzt, dass auch Wassereis damals gute Bedingungen für Bildung und Replikation der ersten RNA-Biomoleküle geliefert haben könnte. Laborversuche mit RNA-Enzymen und Wassereis gelegen, dass das Eis theoretisch sehr wohl als Entstehungsort für erste Protozellen in Frage kommt.
Bisherige Vorstellungen von der „Ursuppe” gingen immer von einem sehr warmen Urmeer aus, in dem sich allmählich die ersten einfachen Biomoleküle formten. Eis konnte es nach dieser Lehrmeinung damals noch nicht gegeben haben, da die Oberflächentemperaturen zu hoch lagen. Doch in letzter Zeit sind einige Studien erschienen, die Indizien für durchaus gemäßigte Temperaturen während der Phase der Lebensentstehung aufführen. Demnach könnte es auch damals bereits polare und saisonale Eisdecken gegeben haben.
Dass dieses Eis möglicherweise sogar eine entscheidende Rolle für die Entstehung der ersten sich selbst replizierenden RNA-Moleküle gespielt haben könnte, hat jetzt ein Forscherteam um Philipp Holliger vom MRC Laboratory of Molecular Biology im britischen Cambridge herausgefunden. In verschiedenen Experimenten testeten sie, wie sich Ribozyme, aktive RNA-Moleküle, die ähnlich wie Enzyme Reaktionen fördern, unter eisigen Bedingungen verhalten.
RNA-Replikation langsam aber stabil
Die Tests zeigen, dass Wassereis die Aktivität eines RNA-Polymerase Ribozyms, und damit eines wichtigen Agenten der Replikation, nicht nur nicht verhindert, sondern sogar fördert. „Obwohl die niedrigen Temperaturen im Eis die enzymatische RNA-Polymerisation verlangsamen, wird dieser Effekt ausgeglichen durch eine Stabilisierung und reduzierte Degradierung der Ribozym-Replikase“, so die Forscher. „Das erlaubt es der Replikation, für Wochen weiterzulaufen und letztlich außergewöhnlich lange Replikationsprodukte von 32 Nukleotiden hervorzubringen, das entspricht bereits der Größe kleiner Ribozyme.“
Eiskanäle als Reaktions-Kompartimente?
Doch das Wassereis könnte auch eines der Hauptprobleme gelöst haben, das für die biochemischen Prozesse in der „Ursuppe“ bestand: Wissenschaftler gehen heute davon aus, dass die meisten dieser Reaktionen nur in begrenzten Räumen ablaufen konnten. Diese Kompartimentierung sorgte erst dafür, dass die für die Reaktionen nötigen hohen Konzentrationen erreicht wurden. Bevor die ersten Zellhüllen entstanden, müssen daher äußere Faktoren, beispielsweisen Poren im Gestein oder bestimmte Oberflächenstrukturen, solche Räume geliefert haben.
Auch die RNA, so die Annahme, kann nur in solchen Umgebungen entstanden sein, die die Stabilität der Ketten förderte und die Replikation ermöglichte. Holliger und seine Kollegen weisen nun nach, dass auch Wassereis damals solche Kompartimente bereitgestellt haben könnte. Denn Eis ist kein massiver Block, wie sich in mikroskopischer Betrachtung zeigt, sondern von einen Netzwerk von zahlreichen winzigen Kanälen und Poren mit wässriger Lösung durchzogen. Da die Eiskristalle aus reinem Wasser bestehen, reichert sich die Flüssigkeit in diesen Poren mit Mineralien und Salzen an. In Versuchen mit Ribozymen in Wassereis aus verschiedenen Ausgangskonzentrationen zeigte sich, dass dieser Konzentrationseffekt dazu beiträgt, die Replikation anzustoßen.
Wassereis als „Ursuppe“ möglich
Das Fazit der Wissenschaftler: „Wir demonstrieren damit, dass weder RNA-Replikation noch eine Kompartimentalisierung auf die gelöste Phase oder bestimmte Umgebungstemperaturen beschränkt sein müssen, sondern dass beide auch in der wässrigen Phase im Wassereis bei Temperaturen unter Null vorhanden sind.“ Theoretisch wäre damit belegt, dass die ersten Biomoleküle und Replikationsvorgänge auf der frühen Erde durchaus auch im eisigen Milieu stattgefunden haben könnte. Ob dies allerdings tatsächlich so war, das bleibt weiterhin offen.
(Nature, 22.09.2010 – NPO)