Paläontologen haben einen engen Verwandten des Velociraptor entdeckt, der in der späten Kreidezeit in Europa jagte. Das mit Doppelklaue ausgerüstete Fossil ist das erste halbwegs vollständige Skelett eines fleischfressenden Dinosauriers aus dieser Ära. Der jetzt in „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS) veröffentlichte Fund gibt damit wertvolle Aufschlüsse über die Lebenswelt des damals aus zahlreichen Inseln bestehenden Europas.
Am Ende der Kreidezeit, vor rund 70 Millionen Jahren, lagen die Meeresspiegel deutlich höher als heute. Als Folge war Europa kein zusammenhängender Kontinent, sondern bestand aus einer Masse von größeren und kleineren Inseln. Abgeschnitten von der sonstigen Tierwelt waren viele hier lebende Arten kleiner und primitiver als ihre Verwandten auf den größeren Landmassen Asiens oder Nordamerikas. Bisher war allerdings nicht klar, wie die Vertreter der fleischfressenden Dinosaurier zu dieser Zeit in dieser Region aussahen, denn gut erhaltene Fossilien fehlten weitgehend.
Erstes Skelett eines europäischen Raubdinos
Dies hat sich nun mit dem Fund des „Balaur bondoc“ geändert. Der „untersetzte Drache“ – so sein aus dem rumänischen abgeleiteter Name übersetzt – wurde in Rumänien durch den Geologen Mátyás Vremir von der Transylvanischen Museumsgesellschaft entdeckt und dann gemeinsam mit Kollegen der Universität von Bukarest und des amerikanischen Museums für Naturkunde (AMNH) analysiert.
„Wir haben alle auf so etwas gewartet und jetzt hat sich das Warten gelohnt”, erklärt Mark Norell, Leiter der paläontologischen Abteilung am AMNH. Das neuentdeckte Fossil stammt von einem Tier, das rund zwei Meter groß war und anhand zahlreicher Merkmale zur Verwandtschaftsgruppe der Dromeosaurier zugeordnet wird. Damit ist er ein Verwandter von kleineren, schnellen Raubsauriern wie dem Velociraptor. Doch gleichzeitig weist er mindestens zwanzig Merkmale auf, die ihn absolut einzigartig machen.
Ungewöhnlich kräftig
„Balaur bondoc ist schwer, mit unerwartet kräftigen Gliedern und verschmolzenen Knochen“, so Norell. „Das zeigt, wie ungewöhnlich die Fauna während der letzten Jahre der Dinosaurier-Ära war.“ Unerwartet ist dies vor allem deshalb, weil alle bisherigen Funde und auch die in der gleichen Ausgrabung entdeckten Skelette pflanzenfressender Dinosaurier dieser Region durch den so genannten „Inseleffekt“ deutlich kleiner waren als anderswo. So fanden sich unter anderem nur kuhgroße Sauropoden und winzige Entenschnabeldinosaurier.
„Balaur hat die Größe eines überdimensionierten Truthahns und war anders als alles, was wir von großen Prädatoren in anderen Teilen der Welt zur gleichen Zeitperiode kennen, wie beispielsweise Tyrannosaurus oder Carnotaurus“, erklärt Zoltán Csiki von der Universität von Bukarest. „Die europäischen Dinosaurierfaunen sind dafür bekannt, ungewöhnlich zu sein, daher haben wir halb erwartet, auch seltsame Prädatoren zu finden. Aber Balaur, als erster guter Vertreter davon hat unsere kühnsten Erwartungen weit übertroffen.“
Tödliche Doppelklaue am Hinterbein
Neben seiner sehr kräftigen, untersetzten Gestalt und einem Becken, das einst mit mächtigen Muskelpaketen bepackt gewesen sein muss, besaß Balaur bondoc kurze, kräftige Hinterbeine mit gleich zwei großen Klauen: Eine am zweiten Zeh, ein typisches Merkmal aller Dromeosauriden, zusätzlich aber eine weitere, einziehbare Klaue auch am großen Zeh. Nach Ansicht der Paläontologen könnte Balaur bondoc diese genutzt haben, um seine Beute aufzuschlitzen. Die rückgebildeten Vorderbeine und Hände, die sich kaum mehr zum Greifen eigneten, deuten darauf hin, dass er vor allem die Hinterbeine als Angriffswaffen einsetzte und mit ihnen seine Beute packte und tötete.
Mehr Kickboxer als Sprinter
„Balaur ist eine neue Form eines räuberischen Dinosauriers, sehr verschieden von allem, was wir bisher kannten”, erklärt Stephen Brusatte von der Columbia Universität und Mitarbeiter am AMNH. „Seine Anatomie zeigt, dass er in anderer Weise gejagt haben muss als seine weniger untersetzten Verwandten. Verglichen mit Velociraptor war Balaur wohl eher ein Kickboxer als ein Sprinter und könnte sogar größere Tiere als er selbst erlegt haben, ähnlich einigen Fleischfressern der heutigen Zeit.“
Inseln weniger isoliert als angenommen
Doch trotz all seiner Seltsamkeiten zeigt Balaur bondoc auch Merkmale, die darauf hindeuten, dass Europa trotz seines Inselstatus wohl doch nicht so isoliert gewesen ist, wie lange angenommen. „Weil Balaur mit Dinosauriern wie Velociraptor verwandt ist, deutet er darauf hin, dass das europäische Inselarchipel mindestens zwischenzeitlich eine Faunenverbindung mit anderen Teilen Europas, Asiens und Nordamerikas gehabt haben muss, wo diese Gruppe von Dinosauriern in ähnlich alten Gesteinsschichten gefunden wird“, erklärt Norell. „Es zeigt auch, wie stark Inseleffekte wirken können, um wirklich ungewöhnliche Tiere zu erzeugen.“
(American Museum of Natural History / National Science Foundation, 31.08.2010 – NPO)