Der Nordamerikanische Kontinent ist keine massive, einheitliche Platte, sondern gleicht eher einer Schichttorte: Unterhalb der drei Milliarden Jahre alten Kontinentwurzel haben Forscher jetzt eine Schicht von sehr viel jüngerem, chemisch deutlich verschiedenen Gestein entdeckt. Wie sie in „Nature“ berichten, deuten Dehnungsmuster im Untergrund darauf hin, dass diese nicht durch ein Plume von unten angesetzt wurde, sondern durch bei Subduktion abgeschabtes Gestein entstand. Dies wirft ein neues Licht auf die Bildung und Entwicklung der Kontinente.
Die Oberfläche der Kontinente ist gut erforscht, ihr innerer Aufbau jedoch noch immer in Teilen eine Terra Inkognita. Denn um beispielsweise die Grenze zwischen der Lithosphäre, der festen Hülle der Erde und der Asthenosphäre, dem zähflüssigen Teil des Erdmantels festzustellen, müssen Geowissenschaftler auf indirekte Methoden zurückgreifen. Mit Hilfe von seismischen Messungen ermittelten sie für den nordamerikanischen Kontinentsockel, den so genannten Kraton, an seiner dicksten Stelle eine Tiefe von rund 250 Kilometern, zu den Rändern hin nimmt die Dicke ab. Vor einigen Jahren jedoch ergab eine weitere Messung mit einer anderen Methode eine scharfe Grenze der seismischen Wellen in viel geringerer Tiefe, in nur 120 Kilometern. Worum es sich dabei handelte, konnte jedoch nicht geklärt werden.
Seismische Wellen verraten Dehnungsstrukturen
Jetzt haben Forscher der Universität von Kalifornien in Berkeley eine neue Technik, die so genannte seismische azimutale Anisotropie eingesetzt, um erneut das Kraton Nordamerikas zu untersuchen. Die Methode basiert auf der Tatsache, dass Erdbebenwellen sich schneller ausbreiten, wenn sie in die gleiche Richtung wandern, in der Gestein gedehnt wurde, als wenn sie quer dazu verlaufen. Durch die winzigen Laufzeitunterschiede ist es möglich, Struktur und Spannungsverläufe im Untergrund zu rekonstruieren.
Binnengrenze in 150 Kilometern Tiefe
„Während die Lithosphäre über die Asthenosphäre wandert, wird das Material gedehnt und erhält eine Struktur, die die Richtung angibt, in die sich die Platten bewegen“, erklärt Barbara Romanowicz, Leiterin des Berkeley Seismological Laboratory und Professorin für Geo- und Planetenwissenschaften. In ihren Messungen entdeckten auch die kalifornischen Forscher eine Grenze in 150 Kilometern Tiefe und damit weit über dem Unterrand des Kratons in 250 Kilometern.
Nach Ansicht der Wissenschaftler deutet diese „Binnengrenze“ auf die Existenz von zwei Typen von Lithosphäre unter dem Nordamerikanischen Kontinent hin: den alten Kraton sowie jüngeres Material, das in seiner chemischen Zusammensetzung eher der ozeanischen Kruste ähnelt. Diese Interpretation stimmt mit Studien von Gesteinseinschlüssen aus größerer Tiefe überein, die ebenfalls auf die Existenz zweier chemisch ganz unterschiedlicher Schichten hindeuten. Schon zuvor gab es die Theorie, dass Kontinentplatten quasi nachträglich in die Tiefe wachsen können.
Subduktion statt Unterfütterung
„Eine Hypothese war, dass der untere Teil durch Unterfütterung gebildet worden ist“, erklärt Romanowicz. „Man hat ein großes Plume von Material, einen Aufstrom, der unter der Kontinentwurzel hängen bleibt. Aber was wir beobachten passt dazu nicht. Denn dabei würde sich das Material in alle Richtungen ausbreiten und die Anisotropie müsste wie die Speichen eines Fahrrads in alle Richtungen zeigen.“
Doch genau dies war nach der Auswertung der Dehnungsstruktur nicht zu sehen. Stattdessen zeigten die Dehnungsstrukturen alle in eine Richtung. „Wir sehen eine konsistente Richtung über den gesamten Kraton“, so Romanowicz. „In der oberen Lithosphäre ist die schnelle Achse im Durchschnitt von Nordosten nach Südwesten ausgerichtet. In der unteren Schicht dagegen eher nord-südlich. Die Unterfütterung scheidet damit aus.“ Stattdessen könnte die untere Schicht durch Subduktion angelagert worden sein: Der Kontinent schrappte über eine subduzierte ozeanische Platte hinweg und dabei blieb ozeanisches Krustengestein an seiner Unterseite hängen. Nach Ansicht von Romanowicz und ihrem Kollegen Huaiyu Yuan ist die Nord-Süd-Ausrichtung der Subduktionszonen auf beiden Seiten des amerikanischen Kontinents konsistent mit den von ihnen festgestellten Dehnungsmustern.
Wachstum in den letzten 500 Millionen Jahren
Die ursprünglichen Kontinente der Erde bildeten sich demnach vor rund drei Milliarden Jahren, als der Planet noch deutlich heißer und die Mantelkonvektion stärker ausgeprägt war, so Romanowicz. Die kontinentalen Gesteine stiegen an die Oberfläche – ähnlich wie Schaum auf kochender Marmelade – und bildeten allmählich die Lithosphäre, die feste äußerste Schicht der Erde. Diese alten Stücke der Lithosphäre, die Kratons, stoppten ihr Wachstum offenbar vor rund zwei Milliarden Jahren, als sich die Erde stärker abkühlte. In den letzten 500 Millionen Jahren, vielleicht sogar in der letzten eine Milliarde Jahren allerdings hat die moderne Ära der Plattentektonik neue Ränder an die alten Kratons angefügt und die Kontinente so langsam erweitert.
„Das ist aufregend, weil es noch immer ein Rätsel ist, wie Kontinente wachsen”, erklärt Romanowicz. „Ich denke, dass unsere Studie dazu anregen wird, sich das Alter der Lithosphäre als Funktion der Tiefe genauer anzusehen. Jede Information, die die Modelle der Kontinentbildung weiter präzisiert, ist für Geodynamiker wirklich nützlich.“
(University of California – Berkeley, 30.08.2010 – NPO)