Genetik

Ameisengenom entschlüsselt

Epigenetische Unterschiede steuern Verhalten und Kastenstatus

Arbeiterin der Art Camponotus floridanus, typisch ist der vergrößerte Kopf © Jürgen Liebig

Nach der Honigbiene ist jetzt das zweite Genom eines sozialen Insekts sequenziert worden: das Erbgut der Ameise. Von der Entschlüsselung, die sogar an zwei Ameisenarten gleichzeitig durchgeführt wurde, erhoffen sich die Wissenschaftler vor allem wertvolle Aufschlüsse über die Regulation der Gene durch externe Faktoren, die so genannte Epigenetik. Wie sie in „Science“ berichten, lieferten die Analysen schon die ersten Einblicke in die Regulation des Verhaltens innerhalb einer Ameisenpopulation.

Das Ameisen-Genom-Projekt begann im Jahr 2008, als Danny Reinberg, Professor für Biochemie am Medical Center der New York University, und sein Team Fördergelder erhielten, um die epigenetischen Unterschiede zwischen Ameisenarten zu untersuchen. Epigenetik ist die molekulare Maschinerie, die bestimmt, welches unserer Gene an oder abgeschaltet ist. Über dieses Regulativ kann die Genaktivität sehr direkt durch Umwelteinflüsse beeinflusst werden. Ameisen eignen sich besonders gut zur Erforschung dieser epigenetischen Kontrolle, da alle Tiere einer Kolonie exakt die gleichen Gene tragen – sie alle sind im Prinzip Klone der Königin. Trotzdem aber unterscheiden sich die verschiedenen Ameisenkasten deutlich in Aussehen, Verhalten und Physiologie, dafür müssen daher epigenetische Prozesse verantwortlich sein.

„Ameisen sind extrem soziale Tiere, ihre Überlebensfähigkeit hängt in ähnlicher Weise von der Gemeinschaft ab wie die des Menschen“, erklärt Reinberg. „Ob sie Arbeiter, Soldaten oder Königinnen sind, Ameisen scheinen perfekt geeignet, um zu studieren, wie Epigenetik das Verhalten und Altern beeinflusst.“ Sie könnten beispielsweise Aufschluss darüber geben, warum die Königin bei manchen Arten bis zu zehn Mal länger lebt als ihre Arbeiterinnen.

Zwei Ameisenarten im Vergleich sequenziert

Unter anderem deshalb schloss sich Reinberg unter anderem mit Kollegen des Beijing Genomic Institute in Shenzhen sowie der Universität von Pennsylvania zusammen, um das Genom von zwei Ameisenarten zu sequenzieren und dabei auch die epigenetischen Zustände der einzelnen Gene zu erfassen. Ausgewählt für die Sequenzierung wurden die Ameisenart Harpegnathos saltator, auch als Jerdons Springameise bekannt, sowie Rossameise Camponotus floridanus.

Arbeiterin der Springameise Harpegnathos saltator © Jürgen Liebig

Die Sequenzierung ergab, dass die Ameisen immerhin 33 Prozent ihrer Gene mit dem Menschen teilen, etwa 20 Prozent ihrer Gene sind ameisenspezifisch. Beide Arten besitzen etwas weniger Gene als der Mensch mit seinen 23.000: Camponotus besitzt 17.064 Gene, Harpegnathos 18.564. In Bezug auf die Basenpaare – quasi die Buchstaben des genetischen Codes – fallen die Unterschiede noch deutlicher aus: Das Camponotus-Erbgut umfasst rund 240 Millionen Basen, das Harpegnathos etwa 330 Millionen – und damit etwa ein Zehntel der Basen im menschlichen Genom.

Langlebigkeits-Enyzme bei Ersatzköniginnen

Schon bei der ersten Durchmusterung der Gene entdeckten die Forscher auch erste Hinweise auf Verbindungen zwischen Genen, Proteinen und Verhalten. Bei der Springameise wird durch Kämpfe zwischen den Arbeiterinne entschieden, welche von diesen neue Königin wird, wenn die alte stirbt. Einmal Königin geworden, lebte diese ehemalige Arbeiterin dann deutlich länger als ihre Nestgenossinnen. Die Ursache für diese plötzliche Umstellung der Lebensdauer könnte in einer Überexpression bestimmter Proteine liegen, darunter auch des Enzyms Telomerase, von denen bekannt ist, dass sie für die Langlebigkeit eine Rolle spielen. Interessanterweise enthielten die Genome der „Ersatzköniginnen“ auch ungewöhnlich viele kleine RNA, die normalerweise für die Feinregulation der Genexpression wichtig sind.

Unterschiedliche Genexpression in beiden Arbeiterinnenkasten

Auch bei der zweiten analysierten Ameisenart, Camponotus floridanus, stießen die Wissenschaftler auf spannende Hinweise auf die Interaktion von Genexpression und Verhalten. Im Gegensatz zur Springameise ist bei Camponotus das Kastensystem sehr viel rigider ausgeprägt, selbst innerhalb der Arbeiterinnen gibt es zwei spezialisierte, in Funktion und Aussehen unterschiedliche Kasten. Während die eine für den Schutz des Nests zuständig ist, sorgt die andere für Nahrungsnachschub. Der genetische Vergleich beider Kasten ergab, dass deren Genexpression sich gerade in Zellen des Gehirns deutlich unterschied.

„Nach der Honigbiene sind die Ameisen die zweite Familie von sozialen Insekten, deren Genom sequenziert wurde“ erklärt Roberto Bonasio, einer der Koautoren der Studie. „Die nächste Herausforderung ist es nun, die Genome näher zu analysieren und zu manipulieren, um die Funktion spezifischer Gene herauszufinden, die Verhalten und auch Altern steuern.“

(NYU Langone Medical Center / New York University School of Medicine, 27.08.2010 – NPO)

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