Viele unserer Zellen bilden winzige Flimmerhärchen aus, die Zilien. Jetzt haben Wissenschaftler die Moleküle identifiziert, die für den Transport von Material und Molekülen in den Zilien und Zilienzellen zuständig sind. Sie sorgen beispielsweise dafür, dass die Netzhautzellen mit Sehpigment versorgt werden.
Zilien, Flimmerhärchen auf der Oberfläche von Zellen, finden sich fast überall im Körper, nicht nur auf den Oberflächen von Epithelen, der obersten Zellschicht von Haut und Schleimhaut. „In den letzten Jahren hat man mehr und mehr entdeckt, dass eigentlich jede Zelle eine Zilie ausbilden kann“, erklärt Uwe Wolfrum, Professor für Zoologie an der Johannes Gutenberg- Universität Mainz (JGU). „Wir riechen mit Zilien, wir sehen mit Zilien und mit Zilien kann die Zelle das Milieu, in dem sie lebt, sensorisch erfassen.“ Störungen der Zilienfunktion führen zu Ziliopathien, worunter völlig unterschiedliche Krankheiten fallen wie Mehrfingrigkeit, Erblindung, Nierendefekte oder Zwergwuchs. „Weil Zilien so wichtig sind, ist bei einem Defekt häufig der gesamte Organismus beeinträchtigt“, so Wolfrum.
Der Zoologe und seine Mainzer Kollegen haben nun Schlüsselproteine charakterisiert und erstmals subzellulär lokalisiert, die den gerichteten molekularen Transport innerhalb von Zilien bewerkstelligen und daher für die Ausbildung und Funktion einer Zilie wesentlich sind. Darüber hinaus nehmen diese Proteine auch noch an ganz anderen Stellen wichtige Transportfunktionen ein, wie eine jetzt in der Fachzeitschrift „Journal of Cell Biology“ veröffentlichte Studie der Mainzer Forscher ergab.
Transportmoleküle als „LKW“
Entscheidenden Anteil an der Ausbildung und Funktion einer Zilie haben Moleküle des sogenannten Intraflagellaren Transports, kurz IFT-Moleküle. Diese Transportmoleküle bringen zum Beispiel in den lichtempfindlichen Sehzellen des Auges das Sehpigment Rhodopsin an Ort und Stelle. Wolfrum und
seine Mitarbeiterin Tina Sedmak haben nun festgestellt, dass sich bestimmte IFT-Moleküle für den Transport zusammenschließen, während andere abseits bleiben, vielleicht um auf eine andere Fracht zu warten.
„IFT- Moleküle sind wie ein LKW, der auf dem Bahnhof seine Ladung von einem Güterwaggon übernimmt und sie in ein abgelegenes Dorf bringt. IFT-Moleküle sind am Verladeprozess der Fracht an der Basis eines Ziliums beteiligt, hauptsächlich erfüllen sie aber wichtige Aufgaben beim darauffolgenden Transport der Fracht durch das Zilium selbst. So transportieren sie Zilienkomponenten zur Spitze einer wachsenden Zilie oder schaffen in den Sehzellen der Netzhaut Rhodopsin-Moleküle in das Zilium, wo es in die fotosensitiven Membranen eingelagert wird.“
Mit ihrer Arbeit an den Fotorezeptorzellen haben Sedmak und Wolfrum zum einen bestätigt, dass IFT- Moleküle eine zentrale Transportfunktion in Zilien erfüllen, und zum anderen erstmals nachgewiesen, dass IFT-Moleküle dazu in bestimmten Kompartimenten organisiert sind und dort unterschiedliche Aufgaben übernehmen. Für die entsprechenden Untersuchungen kamen neuartige analytische Techniken der hochauflösenden Lichtmikroskopie und der Immunoelektronenmikroskopie zur Anwendung.
IFT-Moleküle auch in Zellen ohne Zilien
Außerdem fanden die Mainzer Neurobiologen heraus, dass IFT-Moleküle nicht nur in Zilien vorkommen, wie bisher angenommen. „Wir haben uns außer den Fotorezeptoren auch die Nervenzellen angeschaut, die keine Zilien besitzen. Hier fanden wir IFT-Moleküle in den dendritischen Fortsätzen, über die Lichtinformation von den Fotorezeptorzellen übernommen und im Nervennetzwerk der Netzhaut weitergeleitet wird“, so Wolfrum. Die Transportmoleküle haben also auch außerhalb von Zilien eine Funktion.
„Wahrscheinlich bringen sie die Rezeptoren für die Neurotransmitter, die von der Fotorezeptorzelle abgegeben werden, an die Spitze des Dendriten, wo sie dann in die dortige Synapse zur Detektion von ausgeschütteten Neurotransmittern eingebaut werden.“ Wolfrum vermutet aufgrund dieser Entdeckungen, dass IFT-Moleküle vielleicht schon lange bevor es Zilien gab, gerichtete Transportvorgänge in Zellen bewältigt haben und sieht darin wertvolle neue Hinweise auf die molekulare Evolution des IFT-Systems der Zelle.
(Universität Mainz, 26.08.2010 – NPO)