Nur drei Nervenzellen steuern bei Fruchtfliegen die Vermeidungsreaktion – das Lernen durch negative Erfahrungen. Erstmals ist es Forschern gelungen, diese Zellen aufzuspüren, indem sie sie mit einem „Temperaturschalter“ verbanden, der sich gezielt durch Veränderungen der Umgebungstemperatur an- oder abschalten lässt – und das, während sich die Tiere frei bewegen und lernen.
Für ein langes und gesundes Leben ist es durchaus hilfreich zu lernen, welche Dinge und Situationen schädlich sind. So lernen die meisten von uns zum Beispiel durch schmerzhaften Sonnenbrand, sich das nächste Mal vor dem Sonnenbad einzucremen. Das Prinzip dieses erlernten Vermeidens ist so essenziell, dass selbst die vergleichsweise einfachen Gehirne von Fruchtfliegen dazu in der Lage sind. Bietet man Fruchtfliegen zum Beispiel einen bestimmten Duft zusammen mit einem Stromimpuls an, so lernen die Tiere schon nach wenigen Versuchen diesen Duft zu meiden – sie laufen oder fliegen in die entgegengesetzte Richtung.
Quelle der Vermeidungsreaktion gesucht
Doch was passiert im Gehirn, wenn solch unterschiedliche Reize wie ein Duft und ein Stromimpuls miteinander verbunden werden und dies zu einer Verhaltensänderung führt? Dieser grundlegenden Frage sind Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie in Martinsried auf der Spur. Am Modell der Fruchtfliege untersucht eine Forschergruppe unter der Leitung von Hiromu Tanimoto, was im Gehirn passiert, wenn die Tiere lernen etwas zu vermeiden.
Die Wissenschaftler wussten, dass die Verknüpfung von Geruch und Stromimpuls innerhalb des Pilzkörpers geschieht – einer Struktur im Fliegenhirn mit rund 2.000 Nervenzellen. Zudem ist bekannt, dass der Botenstoff Dopamin wichtig ist, damit die Fliegen lernen können, eine potenzielle Gefahr mit einem Geruch zu verknüpfen. Welche Dopamin-ausschüttenden Zellen dies jedoch genau ermöglichten, das blieb weiterhin unklar. „Die Schwierigkeit bestand darin, dass wir wissen mussten, welche Nervenzellen Dopamin ausschütten, während die Fliegen herumrennen und lernen, einen Duft zu vermeiden“, fasst Tanimoto die Herausforderung zusammen.
„Temperaturschalter“ eingebaut
Genau das ist den Neurobiologen nun gelungen. Sie bauten einen „Temperaturschalter“ in die Dopamin-ausschüttenden Nervenzellen ein, die mit den Zellen des Pilzkörpers in Kontakt stehen. „In der einen Gruppe von Fliegen führte das eingeschleuste Gen dazu, dass eine leichte Erhöhung der Raumtemperatur die Nervenzellen aktivierte, sodass diese Dopamin freisetzten; in einer zweiten Fliegengruppe führte ein anderes Gen dazu, dass die Temperaturerhöhung die Nervenzellen inaktivierte, egal welche Reize wir den Tieren anboten“, so Tanimoto.
Drei Zellen entscheidend
Auf diese Weise konnten die Wissenschaftler zeigen, dass drei Dopamin-ausschüttende Zellen aktiv sein müssen, damit ein wahrgenommener Duft mit einem negativen Erlebnis verknüpft wird. Die entscheidende Rolle dieser Zellen war eindeutig: Wurden die drei Nervenzellen über eine Temperaturerhöhung aktiviert während die Fliegen einen Duft wahrnahmen, so lernten die Tiere den Duft zu vermeiden – und das selbst dann, wenn der Stromimpuls als negative Beziehung zu dem Duft fehlte.
„Wir können jetzt tatsächlich die Funktion einzelner Nervenzellen in einem sich frei bewegenden Tier untersuchen – das eröffnet ganz neue Möglichkeiten“, freut sich Yoshinori Aso über den Erfolg seiner Arbeit. Nun wollen die Wissenschaftler Schritt zu Schritt entschlüsseln, wie Erlebnisse miteinander verknüpft werden, und wie daraus eine Verhaltensänderung entsteht.
(Max-Planck-Gesellschaft, 19.07.2010 – NPO)