In der Tiergruppe der Plattentiere oder Placozoa gab es bisher nur eine einzige Art: Trichoplax adhaerens. Doch jetzt haben die strukturell einfachsten aller vielzelligen Tiere Zuwachs bekommen. Hannoveraner Forscher haben völlig unerwartet gleich mehr als ein Dutzend nicht näher verwandte neue Arten im Tierstamm der Plattentiere entdeckt. Sie stellen diese im Fachmagazin „Molecular Ecology“ erstmals vor.
Die tatsächliche Anzahl der Tier- und Pflanzenarten auf der Erde ist unbekannt. Wissenschaftler schätzen, dass bisher nicht mal zehn Prozent der Artenvielfalt bekannt und beschrieben sind. Folglich berichten Fachzeitschriften regelmäßig und beinahe täglich über die Entdeckung neuer Arten. Häufig handelt es sich dabei um enge Verwandte bereits bekannter Arten, die aufgrund ihrer großen äußeren Ähnlichkeit bisher nicht als eigenständige Art erkannt wurden. Diese Arten sind in der Regel Neuentdeckungen innerhalb bekannter Gattungen.
Plattentiere an Meeresküsten weltweit gesammelt
Forscher um Professor Bernd Schierwater und Michael Eitel aus dem Institut für Tierökologie und Zellbiologie der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover haben in ihrer neuen Studie an verschiedenen Meeresküsten weltweit Plattentiere gesammelt, vom Mittelmeer über den Indischen Ozean bis Australien, Hawaii und die Karibik, um sie in Hannover molekulargenetisch zu analysieren. Die Untersuchungen führten zu mehr als einem Dutzend neuer genetischer Linien, so genannter Haplotypen, die sich seit mehreren Hundert Millionen Jahren getrennt voneinander entwickeln.
Mehr als ein Dutzend neue Arten
Diese Linien stellen vergleichend systematisch betrachtet mehr als ein Dutzend neuer Arten dar, die verschiedene Gattungen, Familien und vermutlich sogar Ordnungen repräsentieren. „Diese Explosion eines Tierstammes ist äußerst bemerkenswert“, erklärt Schierwater, „vergleichbare Ereignisse wurden in der Zoologischen Systematik in den letzten Jahrzehnten kaum beschrieben.“
Die Forscher berichten in Molecular Ecology, dass ökologische Daten die genetischen Analysen untermauern. Die verschiedenen Gruppen der Plattentiere besetzen sehr unterschiedliche ökologische Nischen und zeigen eine individuelle Nord-Süd-Verbreitung in den Weltmeeren. Auch die Kultivierbarkeit der verschiedenen, noch zu benennenden Arten ist stark unterschiedlich.
Modellorganismus für die Evolution der Vielzeller
Trichoplax adhaerens ist vergleichsweise anspruchslos und gehört zu einer weit verbreiteten Gruppe, die vom Äquator bis zur französischen Atlantikküste in Roscoff zu finden ist. Als Modellorganismus für die Evolution der vielzelligen Tiere hat Trichoplax adhaerens Einzug in viele Labore gehalten. Die Untersuchungen zeigen jedoch, dass es Plattentiere gibt, die noch besser als Modellorganismus geeignet sind.
„Weitere Analysen werden zeigen, welche Art sich dafür anbietet“, sagt Schierwater. Als primitive Vielzeller können die Plattentiere als Modellsystem für die Evolutionsbiologie, die Entwicklungsgenetik bis hin zur Krebsforschung eingesetzt werden. Eitel erklärt: „Trichoplax adhaerens ist der am einfachsten gebaute Vielzeller überhaupt. Jetzt hat er unerwartet eine reiche Schar an Schwestern bekommen. Die Lehrbücher können den einzigartigen Tierstamm der Plattentiere bald erstmals mit einer Systematik versehen.“
(idw – Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover, 09.07.2010 – DLO)