Ökologie

Antidepressiva verändern Verhalten von Meerestieren

Medikamentenreste im Abwasser lassen Flohkrebse zum Licht schwimmen

Alex Ford mit Meereskrebs © University of Portsmouth

Reste von Medikamenten im Abwasser werden immer häufiger zum Problem. Eine neue Studie belegt nun, dass Antidepressiva das Verhalten von Meereskrebsen so verändern, dass sie leichter Beute ihrer Fressfeinde werden. Langfristig, so britische Forscher, könnte dies die Nahrungsketten und Ökologie besonders der Küstengebiete dramatisch schädigen.

Welche Wirkung Medikamente auf uns Menschen haben, ist im Allgemeinen gut erforscht. Weitgehend unbekannt ist jedoch, was sie nach ihrem Konsum in der Umwelt anrichten. Denn viele von ihnen werden im Körper nur teilweise abgebaut, als Folge gelangen sie selbst oder ihre Abbauprodukte über unseren Urin in die Kanalisation. Oft können sie nur ungenügend aus dem Wasser entfernt werden und landen in Flüssen und letztlich auch im Meer. So wiesen Forscher das Schmerzmittel Ibuprofen bereits im Wasser der Nordsee nach, Hormone aus Antibabypillen in vielen deutschen Flüssen.

Biologisch wirksame Substanzen landen im Abwasser

„Das meiste von dem, was wir Menschen konsumieren, lässt sich im Wasser nachweisen“, erklärt Alex Ford, Meeresforscher der Universität von Portsmouth. „Wir sind beispielsweise eine Nation von Kaffeetrinkern und im Abwasser findet sich daher eine hohe Konzentration von Koffein. Es ist daher keine Überraschung, dass auch das, was wir aus der Apotheke erhalten, unsere Wasserwege kontaminiert.“

Ford und seine Kollegen haben nun erstmals die Wirkung eines häufig in Antidepressiva enthaltenen Wirkstoffs, des Fluoxetins, auf Flohkrebse der Art Echinogammarus marinus untersucht. Von diesen im Meerwasser lebenden Kleinkrebsen ist bekannt, dass ihr Verhalten durch die Konzentration des Botenstoffs Serotonin in ihrem Gehirn beeinflusst wird. Die Forscher wollten nun herausfinden, ob das Fluoxetin, das beim Menschen in den Serotonin-Haushalt eingreift, möglicherweise auch auf die Krebse wirkt.

Zum Licht hin statt von ihm weg

Sie setzten die Tiere unterschiedlichen Konzentrationen des Fluoxetins aus und beobachteten sie. Es zeigte sich, dass sich ihr Verhalten bei Konzentrationen, wie sie auch in Abwässern, die in Flüsse und das Meer fließen, gemessen werden, dramatisch änderte: Die Krebse bewegten sich fünf Mal häufiger auf eine Lichtquelle zu, anstatt, wie normalerweise üblich, von ihr wegzuschwimmen. Diese Änderung erscheint auf den ersten Blick trivial, sie könnte jedoch für die Krebse fatale Folgen haben. Denn der Impuls vor allem Hellen zu fliehen schützt sie davor, von Vögeln oder Fischen gefressen zu werden. Fehlt er oder ist er sogar umgekehrt, werden sie leichte Beute.

„Krebstiere sind entscheidend für die Nahrungskette. Wenn das natürliche Verhalten durch Antidepressiva im Meerwasser verändert wird, könnte dies das natürliche Gleichgewicht des gesamten Ökosystems ernsthaft stören“, erklärt Ford. „Das Abwasser ist oft in Flussmündungen und Küstengebieten besonders konzentriert – doch genau dort leben auch die Krebse. Das bedeutet, dass sie dort im Extremfall den Medikamentenresten ganzer Städte ausgesetzt sind.“ Die Studie wurde im „Journal of Aquatic Toxicology“ veröffentlicht.

(University of Portsmouth, 09.07.2010 – NPO)

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