Nur bei sehr wenigen Menschen löst ein Buchstabe oder eine Zahl ein Farberlebnis aus. In gleich zwei verschiedenen Studien haben Berner Psychologen nun gezeigt, dass solche Menschen, so genannte Synästhetiker, ein besseres Gedächtnis haben und kreativer sind.
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Menschen unterscheiden sich erheblich in der Art, wie sie die Welt wahrnehmen und erleben. So gibt es Menschen, die schwarze Zahlen oder Buchstaben in Farbe wahrnehmen. Diese Ausprägung betrifft etwa ein Prozent der Bevölkerung und wird als Graphem-Farb-Synästhesie bezeichnet. Synästhetiker empfinden mehrere Sinneswahrnehmungen gleichzeitig: Gerüche, Töne, Geschmacksempfindungen und Farben können sich bei ihnen in beliebiger Weise verbinden.
Kunststudenten im Visier
In der Forschung wird die Synästhesie oftmals mit Kreativität und besseren Gedächtnisleistungen in Verbindung gebracht. Am Institut für Psychologie der Universität Bern haben Nicolas Rothen und Professor Beat Meier untersucht, ob Synästhesie bei Künstlern tatsächlich häufiger vorkommt und ob Synästhetiker wirklich ein besseres Gedächtnis haben.
In einer ersten Studie, die soeben in der Fachzeitschrift „Perception“ erschienen ist, konnten die Forscher zeigen, dass bei einer Stichprobe von hundert Kunststudierenden im Vergleich zu einer Kontrollstrichprobe aus der allgemeinen Bevölkerung wie erwartet mehr Synästhetiker zu finden waren.
Synästhetiker besitzen besseres Gedächtnis
In einer zweiten Studie, über die die Wissenschaftler kürzlich in der Fachzeitschrift „Memory“ berichteten, konnten die Psychologen außerdem belegen, dass Synästhetiker bei einem standardisierten Gedächtnistest bessere Leistungen als die Normstichprobe zeigten. Diese Ergebnisse untermauern die Hypothese, dass Synästhesie zu höherer Kreativität und zu besseren Gedächtnisleistungen führen kann. Die Forscher vermuten zudem, dass diese Vorteile auf einer reicheren Erlebniswelt beruhen, die durch die Synästhesie verursacht wird.
Ursache unklar
Die Synästhesie leitet sich aus dem griechischen: syn = zusammen, und Ästhesis = Empfinden, ab. Obwohl das Phänomen bereits seit dem 19. Jahrhundert bekannt ist, wird es erst seit einem Jahrzehnt systematisch erforscht. Die Ursache für das neurologische Wunder konnte die Forschung bis heute noch nicht schlüssig erklären.
Eine Hypothese geht aber davon aus, dass bei Synästhetikern bestimmte neurologische Verbindungen bestehen bleiben, die bei Babys noch vorhanden sind. Bei Kleinkindern sind die Sinne noch nicht sehr ausdifferenziert, ihre Wahrnehmung noch nicht klar auf die betreffenden Hirnareale aufgeteilt.
(idw – Universität Bern, 05.07.2010 – DLO)