Nach 3.500 Jahren haben Wissenschaftler einen ägyptischen Totenbuch-Papyrus zum ersten Mal wieder ausgerollt. Das Ergebnis: Eine 3,20 Meter breite vollständig intakte Papyrusrolle, deren Farben so intensiv und frisch wirken, als ob der Papyrus erst vor kurzem fertig gestellt worden wäre. Die Rolle war offenbar individuell angefertigt und enthält Hinweise auf geheime Orte, Sprüche und Beschwörungsformeln sowie Abbilder des Toten und von Dämonen.
Totenbuch-Papyri waren im alten Ägypten eine Art persönliches Gebetbuch, die aus einer Sammlung von Sprüchen und Beschwörungen individuell für die jeweilige Person zusammengestellt wurden. Leisten konnten sich das damals allerdings nur die so genannten oberen Hundert. Der Papyrus wurde in einer Keramikvase oder Holzbüchse ins Grab gelegt, um die Toten zu begleiten. Mit den Sprüchen und Beschwörungen können die jeweiligen Dämonen, die an den geheimen und heiligen Orten wohnen und den Toten den Hals abschneiden oder die Füße verbrennen wollen, besiegt werden.
Entrollt nach 3.500 Jahren
Ein solcher Totenbuch-Papyrus wurde jetzt, nach 3.500 Jahren Dasein als geschlossene Rolle, am Institut für Restaurierungs- und Konservierungswissenschaft der Fachhochschule Köln erstmals wieder geöffnet. Die jetzt entrollte, etwa 3,20 Meter breite Rolle zählt zu den schätzungsweise zehn noch existierenden farbigen Papyri aus der frühen 18. Dynastie Ägyptens. Es ist die zweite Hälfte eines Totenbuch-Papyrus, dessen erste Hälfte beim unsachgemäßen Abrollen stark beschädigt worden ist und große Knicke, Risse und viele Lücken aufweist. Besonders problematisch im zweiten Teil waren die Lagerungsknicke, die als erstes sorgfältig behandelt und ganz vorsichtig aus dem Papyrus heraus gearbeitet werden mussten.
Beschwörungen und Dämonen
Bei einer Luftfeuchtigkeit von 97 Prozent und einer Außentemperatur von 28 Grad wurde nach mehreren Tagen Vorbereitungszeit und fortlaufender Befeuchtung der Totenbuch-Papyrus innerhalb von fünf Stunden langsam zurückgeformt und ausgerollt. Zu sehen sind: 14 heilige oder geheime Orte, Sprüche und Beschwörungsformeln, Dämonen unter anderem in Form von Schlangen, Krokodilen und Nilpferden sowie zwei Abbildungen des Verstorbenen.
„Damals gab es auch schon Totenbücher in unterschiedlicher Länge von der Stange“, berichtet Fuchs. „Sie waren nahezu komplett vorbereitet, nur der Platz für den Namen blieb frei. Aber diese Papyrusrolle ist etwas Besonderes, sie ist speziell für den Verstorbenen gemacht worden.“ Er hieß Imn-m-H3t und war Kammerherr eines Pharaos der frühen 18. Dynastie Ägyptens, d. h. von Tutmosis III oder Amenophis II. „Also ein Beamter des mittleren Dienstes“, erläutert Fuchs, „erstaunlich, dass er sich das leisten konnte“.
Der Papyrus enthält auch eine weitere Besonderheit: Zum ersten Mal werden hier viele Farbmischungen angewandt, von denen man bislang nicht wusste, dass sie damals bereits bekannt waren: rosa, hellblau und ein aus drei Farben gemischtes Grün.
Zerschnitten oder aufgerollt?
Jetzt muss entschieden werden, wie der Totenbuch-Papyrus künftig aufbewahrt wird. Wird er auf einem großen Kern wieder aufgerollt oder besser in Teilstücke geschnitten? „Es war schon ein großartiges Erlebnis“, berichtet Fuchs, „so einen alten Papyrus frisch entrollt zu sehen. Gleichzeitig ist es auch eine Mahnung mit ihm sehr verantwortungsvoll und sorgfältig umzugehen.“
Da eine Papyrusrolle nur etwa zehn bis 15 Male ohne größere Schäden abgerollt werden kann, empfahl der Forscher, sie in etwa 1,30 Meter lange Stücke zu zerschneiden, wobei nur an den Doppeltrennstrichen zwischen den Kapiteln geschnitten werden darf, damit man die Rolle auch wieder ohne sichtbaren Schaden zusammenfügen kann, falls notwendig. Die Einzelstücke können dann zwischen zwei UV-Licht- sicheren Glasscheiben eingefasst und in einem stabilen Behälter gelagert werden. So könnten sie ohne Risiko für Ausstellungen oder andere Zwecke immer wieder entnommen werden, ohne den Papyrus zu beschädigen.
(Fachhochschule Köln, 22.06.2010 – NPO)