Astronomie

Gibt es doch keine Dunkle Materie?

Neue Studie weckt massive Zweifel an Existenz exotischer Materieform

Kollision von Galaxienclustern, die - vielleicht - Dunkle und normale Materie trennte. In dieser Aufnahme des Clusters MACS J0025.4-1222 deuten die Farben die Trennung von verschiedenen MAterieformen an. © NASA, ESA, CXC, M. Bradac, S. Allen

Massive Zweifel an der Existenz der Dunklen Materie haben neue Beobachtungsdaten der Milchstraße und des Andromedanebels geweckt. Ein Vergleich mit den Vorhersagen der Theorie ergab fünf schwer zu erklärende Widersprüche. Die jetzt in der Zeitschrift „Astronomy and Astrophysics“ veröffentlichte Studie könnte weitreichende Implikationen haben: Eventuell müssen sowohl Newtons Gravitationstheorie als auch Einsteins allgemeine Relativitätstheorie modifiziert werden.

Galaxien rotieren so schnell, dass die Sterne in ihnen eigentlich aufgrund der Fliehkraft auseinander getrieben werden müssten. Eine unsichtbare Substanz – die Dunkle Materie – scheint mit ihrer Masseanziehung dafür zu sorgen, dass das nicht passiert. Seit vier Jahrzehnten fahnden Astrophysiker schon nach diesem mysteriösen „Sternenkitt“ – bislang ohne Erfolg. Möglicherweise jagen sie einem Phantom hinterher: Inzwischen bezweifeln manche Forscher, dass die Dunkle Materie überhaupt existiert. Eine internationale Studie unter Beteiligung von Wissenschaftlern der Universität Bonn stärkt diesen Zweiflern jetzt den Rücken.

Lokale Grupppe als Testobjekt

„Wir haben untersucht, wie sich die Vorhersagen der Dunklen-Materie-Theorie mit tatsächlichen Beobachtungsdaten decken“, erklärt Professor Pavel Kroupa, Physiker am Bonner Argelander-Institut für Astronomie. Er untersucht seit Jahren das aus der Not geborene Konstrukt. Zusammen mit Kollegen aus Österreich, Italien, Frankreich und Australien hat Kroupa die Galaxien vor unserer Haustür unter die Lupe genommen. Zu dieser so genannten „Lokalen Gruppe“ zählen neben der Milchstraße und dem Andromeda-Nebel ungefähr 60 Zwerggalaxien. Die meisten von ihnen umkreisen die großen Galaxien als Satelliten.

Widersprüche zur Theorie

Der Theorie zufolge entstanden nach dem Urknall zunächst Klumpen Dunkler Materie. Diese verschmolzen schließlich zu großen Strukturen, den so genannten Halos. Die Halos zogen aufgrund ihrer Gravitation normale Materie in Form von Gas an sich. Daraus bildeten sich dann die sichtbaren Sterne. Wenn dieses Modell stimmt, sollten die Satellitengalaxien umso heller sein, je mehr Dunkle

Materie sie enthalten – einfach deshalb, weil mehr Dunkle Materie mehr sichtbare Materie zu sich heranziehen kann. „In der Praxis finden wir diesen Effekt jedoch nicht“, betont Professor Klaas S. de Boer vom Argelander-Institut.

Auch sollten die Satelliten-Galaxien nach dem Zufallsprinzip um Milchstraße und Andromeda-Nebel verteilt sein. „Sie liegen aber nahe einer Ebene, bilden also eine Art Scheibe – etwa wie die Eis- und Gesteinsbrocken, aus denen die Ringe des Saturn bestehen“, stellt Professor Duncan A. Forbes von der Swinburne University of Technology im australischenn Melbourne fest. Das Team zählt in der Publikation noch drei weitere Punkte auf, in denen die tatsächlichen Gegebenheiten der Theorie zuwiderlaufen.

Theorie nicht mehr zu halten?

„Jede einzelne dieser Beobachtungen stellt das Dunkle-Materie-Modell vor Probleme“, sagt Kroupa. „Zusammengenommen kollidieren sie so stark mit der Theorie, dass diese nicht mehr zu halten scheint. Wir müssen uns auf die Suche nach Alternativen machen.“ Eine dieser Alternativen ist die Annahme, dass bei galaktischen Dimensionen ein wenig größere Gravitationskräfte wirken, als durch Newtons Gravitationsgesetz vorhergesagt wird.

„In diesem Fall würden die fünf Probleme entweder direkt verschwinden oder sich relativ einfach lösen lassen“, betont Professor Kroupa. Der israelische Physiker Professor Mordehai Milgrom hat bereits in den frühen 1980er Jahren eine entsprechende Theorie vorgeschlagen. Ihre Konsequenz wäre, dass sowohl Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie also auch Newtons Gravitationstheorie angepasst werden müssten. Dafür müsste die Teilchenphysik nicht für eine große Menge Dunkler-Materie-Teilchen aufkommen. Kroupa wird im Juni auf einer internationalen Konferenz in den USA einen neuen Ansatz zur kosmologischen Theorie vorstellen.

(Universität Bonn, 11.06.2010 – NPO)

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