Die Eiskappe am Nordpol des Mars beherbergt gleich zwei rätselhafte Formationen: ein Muster aus spiralig gewundenen Einkerbungen und eine Schlucht, tiefer und breiter als der Grand Canyon. Nach mehr als 40 Jahren des Rätselns haben jetzt Forscher herausgefunden, dass spezielle Fallwinde beide Strukturen formten. In gleich zwei „Nature“-Artikeln berichten sie über die Ergebnisse der ersten Radarmessung, die einen Einblick in die innere Struktur der Eiskappe ermöglicht.
Die rund drei Kilometer dicke Eiskappe am Nordpol des Mars besteht aus Eis und Staub, die – so die bisherige Annahme – sich wie die Schichten eines Baumkuchens in flachen Lagen abwechseln. Die Oberfläche der Eisdecke ist durch spiralig gewundene Täler eingekerbt, deren Ursache bisher rätselhaft war. Während eine Theorie die Rotation des Planeten als Auslöser für solche Risse im Eis sieht, gehen andere Forscher eher davon aus, dass eine erhöhte Sonneneinstrahlung und unterschiedliche Wärmeleitung in bestimmten Bereichen diese Täler ins Eis schmolzen.
Und noch eine rätselhafte Struktur verbirgt sich unter dem Eis: Chasma Boreale, eine am Eisrand austretende Schlucht, die tiefer und breiter ist als der Grand Canyon auf der Erde. Auch ihre Entstehungsweise war bisher unklar. Einige Forscher vertreten die Ansicht, dass Hitze durch vulkanische Aktivität unter der Eiskappe zu katastrophalen Sturzfluten führte, die wiederum den Canyon in den Untergrund kerbten. Andere sehen eher starke polare Winde, so genannte Katabatiden als Ursache für diese Formation.
Radar enthüllt komplexe Eisstrukturen
Jetzt hat ein Team von Wissenschaftlern mehrerer amerikanischer Universitäten und Forschungseinrichtungen das Geheimnis dieser Strukturen des marsianischen Nordpolareises gelöst. Sie nutzen dafür Daten eines Radarinstruments an Bord der NASA-Sonde Mars Reconnaissance Orbiter. Das von der italienischen Raumfahrtbehörde für die Sonde entwickelte „Shallow Radar“ (SHARAD) ermöglicht es, durch die Eisschichten hindurch zu blicken und sowohl den inneren Aufbau der Eiskappe als auch die darunterliegenden Untergrundstrukturen genauer zu analysieren.
Die Radardaten enthüllten zunächst, dass die Eisschichten im Inneren der Kappe alles andere als regelmäßig angeordnet sind. Stattdessen bilden sie komplexe Strukturen mit Schichten wechselnder Dicke und Richtung, abrupten Brüchen und Lücken. „Niemand hätte gedacht, dass sich solche komplexen Strukturen in den Schichten verbergen würden“, erklärt Jack Holt von der Universität von Texas in Austin, Hauptautor des Nature-Artikels über Chasma Boreale. „Die Schichten geben Auskunft über die Geschichte der Eisakkumulation, die Erosion und den Windtransport. Aus diesen Informationen können wir eine Klimageschichte rekonstruieren, die viel detaillierter ist als alle angenommen hätten.“
Stetiges Nagen katabatischer Winde
Die Eisstrukturen erlaubten es den Forschern unter anderem, die Entstehungsgeschichte des Chasma Boreale zu rekonstruieren. Demnach formte nicht ein katastrophales Ereignis die tiefe Schlucht, sondern das stetige Nagen von starken Fallwinden kerbte im Laufe von Millionen von Jahren den Untergrund hier besonders stark ein. Gelenkt und beeinflusst wurden die Luftströmungen dabei von der Topographie angrenzenden alten und damit sehr harten Eises.
Auch die Spiralmuster an der Oberfläche der Nordpol-Eiskappe verdanken ihre Entstehung den Winden, so die neuen Ergebnisse. Demnach strömt kalte, dichte Luft vom Pol aus südwärts über die Eiskappe und an deren Rändern hinab. Die Drehbewegung des Planeten erzeugt eine Corioliskraft, die diese so genannten katabatischen Winde ablenkt und in spiralige Strömungsmuster bringt. An den Stellen, an denen die Luftströmung besonders stark ist, trägt sie allmählich die Eisdecke ab und enthüllt darunter liegende Staubschichten – die Tröge entstehen.
30 Jahre alte Theorie bestätigt
Diese neuen Erkenntnisse bestätigen eine bereits im Jahr 1982 von dem amerikanischen Planetenforscher Alan Howard aufgestellte Theorie, der diese auf Basis der Aufnahmen der Viking-Sonden aus den 1970er Jahren entwickelte. „Er hatte nur die Viking-Bilder mit relativ niedriger Auflösung“, erklärt Isaac Smith, Hauptautor des zweiten Nature-Artikels. „Viele Wissenschaftler haben seither andere Hypothesen vorgeschlagen und die seine für falsch erklärt. Doch wenn man sich den damals in seinem Paper veröffentlichten hypothetischen Querschnitt anschaut, sieht er fast genauso aus wie unsere neuen Radaraufnahmen.“
Für beide Strukturen der marsianischen Eiskappe war demnach die im Laufe von Millionen von Jahren wirkende Kraft des Windes verantwortlich – das 40 Jahre alte Rätsel ist nun gelöst. „Diese anormalen Merkmale waren so lange unerklärt, weil wir nicht sehen konnten, was unter der Eisoberfläche liegt“, erklärt Roberto Seu, Teamleiter des SHARAD-Instruments. „Es ist wunderbar, dass wir sie mit diesem neuen Instrument nun endlich erklären können.“
(University of Texas at Austin, 01.06.2010 – NPO)