Bei ultrakalten Atomen in einem so genannten Bose- Einstein-Kondensat spieln entgegen gängigen Annahmen nicht nur paarweise Wechselwirkungen, sondern auch Stöße zwischen mehreren Atomen eine wichtige Rolle. Dieses jetzt in „Nature“ veröffentlichte Ergebnis ist von fundamentaler Bedeutung für das Verständnis von Quanten- Vielteilchensystemen; es ermöglicht zudem die Erzeugung exotischer Materiezustände, die auf solchen Vielteilchenwechselwirkungen basieren.
Bei extrem tiefen Temperaturen können sich Atome in sogenannten Bose- Einstein-Kondensaten zu kohärenten, laserartigen Materiewellen zusammenschließen. Aufgrund der Wechselwirkungen der Atome untereinander entwickeln diese Materiewellen eine Art Eigendynamik, die zu einem zeitlich
periodischen Zusammenbrechen und Wiederaufleben des Wellenfeldes führt. Wissenschaftlern um Immanuel Bloch, Professor für Experimentalphysik an der Ludwig-Maximilians- Universität München und Direktor am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching gelang es jetzt erstmals, diese Quantendynamik über lange Zeiten hinweg zu beobachten. Dazu erzeugten die Forscher Tausende von Miniatur-Bose-Einstein-Kondensaten, regelmäßig angeordnet in einem „optischen Gitter“, und verfolgten das Zusammenbrechen und Wiederaufleben der Materiewellen. Dabei entdeckten sie Überraschendes.
Eierkarton für ultrakalte Atome
Das Experiment beginnt damit, eine dünne Wolke aus mehreren hunderttausend Atomen auf Temperaturen dicht über dem absoluten Nullpunkt abzukühlen. Bei diesen Temperaturen bildet sich ein Bose- Einstein-Kondensat (BEC) aus, eine Quantenphase, in der sich alle Atome im gleichen Quantenzustand befinden. Diesem Kondensat wird nun ein optisches Gitter überlagert: das ist eine Art künstlicher Kristall aus Licht, in dem sich durch Überlagerung mehrerer stehender Laserlichtwellen helle und dunkle Gebiete periodisch abwechseln. In diesem – einem Eierkarton ähnlichen – Kristall verteilen sich die Atome auf die Gitterplätze.
Doch während in einem echten Eierkarton in einer Kuhle entweder genau ein Ei oder gar keins sitzt, werden die Besetzungszahlen hier von den Gesetzen der Quantenmechanik geregelt. Zwar ist die Wahrscheinlichkeit für ein oder zwei Atome an einem Gitterplatz am größten, aber bei entsprechender Einstellung der Gitterhöhe – hier der Laserintensität – können auch drei, vier oder mehr Atome vorkommen. Und da es sich hier um Quantenteilchen handelt, können alle Besetzungszahlen – mit unterschiedlichem Gewicht – gleichzeitig auftreten.
Schwingungsfrequenz verrät Zusammenstöße
Die Existenz dieser Überlagerungszustände ist der Schlüssel für das neue Messprinzip. „So wie Pendel unterschiedlicher Länge auch unterschiedliche Schwingungsfrequenzen haben, so ist jeder Besetzungszustand durch eine bestimmte Eigenfrequenz charakterisiert“, erklärt Sebastian Will, Doktorand am Experiment. „Stöße zwischen den Atomen beeinflussen die Eigenfrequenzen. Würden die Atome, wie bislang angenommen, immer nur paarweise zusammenstoßen, dann wären die Frequenzen höherer Besetzungszustände immer ein Vielfaches der Grundfrequenz eines Zweierzustands.“
Mit einer trickreichen experimentellen Anordnung gelang es den Physikern, die Überlagerung der verschiedenen Schwingungen in ihrer zeitlichen Entwicklung zu verfolgen. Die Wissenschaftler konnten beobachten, dass in regelmäßigen Zeitabständen Interferenzbilder auftreten – ein Zeichen dafür, dass die Schwingungen im Gleichtakt sind – und wieder zusammenfallen.
Nicht mit Paar-Wechselwirkung allein erklärbar
„Intensität und Periodizität der Interferenzbilder ergeben ein Schwebungsmuster, das sich mit einer reinen Paar-Wechselwirkung nicht in Einklang bringen lässt“, erklärt Sebastian Will. „Vielmehr muss ein komplexerer Stoßmechanismus wirksam sein, der auch die Wechselwirkung von mehreren Atomen miteinander, wir konnten eine Beteiligung von bis zu sechs nachweisen, einschließt.“ Solche exotischen Stöße sind möglich, da Heisenbergs Unschärfeprinzip den Atomen erlaubt, während der Kollision einen virtuellen Umweg über energetisch höher gelegene Quantenzustände zu nehmen.
Außergewöhnliche Steuerbarkeit hilft bei Forschung
Dieses Resultat ist überraschend und von grundlegender Bedeutung, um die Wechselwirkung zwischen mikroskopischen Teilchen besser zu verstehen. Gleichzeitig demonstriert es, mit welchem hohen Grad an Kontrolle sich Quantenmaterie in optischen Gittern manipulieren lässt. Diese außergewöhnliche Steuerbarkeit wollen die Wissenschaftler nutzen, um komplexe Festkörpersysteme zu „simulieren“ und die der Supraleitung oder dem Quantenmagnetismus zugrunde liegende Physik zu erklären. Ein weiterer Vorteil von optischen Gittern liegt darin, dass jeder der mehreren hunderttausend Gitterplätze ein Miniaturlabor darstellt, um exotische Quantenzustände zu erzeugen. Dies macht diese Anordnungen zu den wahrscheinlich empfindlichsten Messinstrumenten für die Beobachtung atomarer Stöße.
(Max-Planck-Institut für Quantenoptik, 17.05.2010 – NPO)