Neurobiologie

Wie das Großhirn groß wurde

Forscher entdecken neuen Stammzelltyp in der äußeren Keimzone des Gehirns

Drei sich teilende OSVZ-Stammzellen im sich entwickelnden Großhirn des Frettchens. © MPG

Max-Planck-Forscher haben einen neuen Stammzelltyp in der äußeren Keimzone des Gehirns entdeckt. Wie die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift „Nature Neuroscience“ berichten, könnten diese neuen Erkenntnisse erklären helfen, wie das menschliche Gehirn seine Größe erreicht, die es von den Gehirnen anderer Säugetiere unterscheidet.

Neurale Stammzellen in der Ventrikularzone des sich entwickelnden Gehirns haben zwei Kontakte, nämlich zur so genannten Basalmembran an der äußeren Hirnoberfläche und zum Ventrikel – das ist der mit Hirnwasser gefüllte Hohlraum, von dem aus das Gehirn wächst. Deshalb können sich diese Stammzellen immer wieder teilen – das ist auch wichtig, denn bei der Entwicklung des menschlichen Gehirns muss zunächst viel Masse angehäuft werden: Zellen, Zellen, Zellen.

In der benachbarten Subventrikularzone hingegen, die bisher überwiegend in der Maus untersucht wurde, findet man jedoch neuronale Vorläuferzellen, die keine Kontakte mehr nach außen oder innen haben. Genau das schränkt ihre Teilungsaktivität ein: Sie teilen sich in der Regel nur einmal und bilden jeweils zwei Nervenzellen. Über den dritten Vorläuferzelltyp in der äußeren Subventrikularzone, die so genannten OSVZ-Vorläuferzellen, die bisher nur beim Rhesusaffen beschrieben waren, wusste man vergleichsweise wenig.

Gehirngewebe im Reagenzglas kultiviert

„Bemerkenswerterweise behalten die OSVZ-Vorläuferzellen im Menschen ihren Kontakt zur Basalmembran“, sagt Simone Fietz vom Dresdner Max-Planck-Institut für Molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG). Dieser Kontakt ist wichtig für die Fähigkeit der OSVZ-Zellen, sich zu teilen. Möglich macht das das Protein Integrin, wie die neuen Experimente jetzt belegten. Dazu haben die Dresdner Forscher Gehirngewebe im Reagenzglas so kultiviert, dass die Entwicklung der Hirnrinde wie in der Gebärmutter ablief.

„Als wir dann gezielt die Aktivität von Integrin hemmten, verloren die OSVZ-Vorläuferzellen ihre Teilungsfähigkeit“, sagt Fietz, die gerade an ihrer Doktorarbeit zur Nervenzellenbildung bei Säugetieren im Laufe der Evolution schreibt. Sie hat die Versuchsreihen zu den nun veröffentlichten Ergebnissen zusammen mit einer anderen Doktorandin, Iva Kelava, und in Kooperation mit Forscherkollegen der Berliner Charité sowie des Dresdner Uniklinikums durchgeführt.

Frettchen und Gehirn © Sebastijan Camagajevac

Quantität statt Qualität macht unser Gehirn groß

Bisher hatte man außerdem vermutet, dass dieser Zelltyp nur in Primaten vorkommt. Man hielt das für den entscheidenden Unterschied zwischen Mensch bzw. Affe einerseits und anderen Säugetieren wie der Maus andererseits – Mäuse haben diese Vorläuferzellen nicht. Die Dresdner Forscher machten hingegen eine faszinierende Entdeckung: Sie konnten auch in Frettchen solche Vorläuferzellen nachweisen – wenn auch in weitaus geringerer Zahl als im menschlichen Gehirn.

„Das ist deshalb so interessant, weil Frettchen, im Gegensatz zur Maus, ähnlich wie der Mensch ein gewundenes Gehirn mit vergrößerter Oberfläche ausbilden. Wir gehen deshalb nun davon aus, dass nicht die Qualität, sondern die Quantität dieser OSVZ-Vorläuferzellen den Unterschied ausmacht und für die Größe des menschlichen Gehirns verantwortlich ist“, so die Forscher.

Neues Wissen mit medizinischem Potenzial

Auf lange Sicht sind die neuen Erkenntnisse ein wichtiger Beitrag zu einem besseren Verständnis von Ablauf und Grundlagen der Gehirnentwicklung. „Dieses neue Wissen ist jetzt natürlich noch nicht eine plötzliche Wunderwaffe gegen neurodegenerative Erkrankungen“, schränkt Wieland Huttner vom MPI-CBG ein. Für die Zukunft können die Forschungsergebnisse aber ein Ausgangspunkt für mögliche Therapieansätze sein.

„Die Herstellung funktionierender Nervenzellen im Reagenzglas, die in einer Zelltherapie kranke Zellen ersetzen könnten, ist eine lange gehegte Vision und sie hat riesiges medizinisches Potenzial“, erklärt Huttner. Will man Nervenzellen zu Therapiezwecken jedoch irgendwann einmal nachbauen, dann müssen zunächst alle Details ihrer Entstehung gut erforscht sein. Eines dieser Details haben die Dresdner Forscher nun geklärt.

(idw – MPG, 03.05.2010 – DLO)

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